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Vom Wert der Arbeit

Die letzte Zeit hat wie mit einem Brennglas Klarheit und Erkenntnisse ermöglicht, die im normalen Alltag bis dahin oft nicht möglich waren. Wie zum Beispiel die Tatsache, wie Geld und Ungleichheiten unsere sozialen Systeme bestimmen oder den geringen Zusammenhang zwischen wertvoller Arbeit und sozialer bzw. monetärer Anerkennung. 

Börsenkurse werden gerade befeuert, gleichzeitig bangen Millionen Menschen um ihre berufliche Existenz, offensichtliche Betrüger wie Commerzialbank oder Wirecardvorstände werden jahrzehntelang hofiert, gleichzeitig werden fleißige Unternehmer unverschuldet zu Bittstellern bei Hilfsfonds in ihrer Würde beschnitten – wie passt das alles zusammen?

Welchen Wert geben wir der Arbeit?

Wir haben unsere Gesellschaft und Wirtschaft auf ein sehr brüchiges Fundament gebaut, es fehlt eine grundlegende Diskussionen, auf welchen Werten basierend wir in unserer Gesellschaft und Wirtschaft zusammenleben wollen. Im Kern dieser Überlegungen steht die Frage der Arbeit, des Geldes und der menschlichen Anerkennung, die sich über die Jahrhunderte immer wieder geändert hat. 

Das Wort Arbeit stammt vom lateinischen Begriff „arvus“ für Ackerland oder aus dem Althochdeutschen „arabeit“, das für Mühsal und Not steht. Für Philosophen wie Sokrates oder Platon spielte die Arbeit eine untergeordnete Rolle. Sie stellten die Muse als „Schwester der Freiheit“ in den Mittelpunkt des Lebens, was sich bis in das Mittelalter fortsetzte. Mit dem Zerfall der alten feudalen Strukturen begann sich die Stellung und der Wert der Arbeit fundamental zu ändern, viele Menschen boten ihre Kenntnisse und Dienstleistungen an. Arbeit war bald nicht mehr notwendiges Übel, sondern entwickelte sich zur Quelle der persönlichen Identitätsbildung

Mit den Schriften von John Locke und Adam Smith nahm die Verherrlichung der Arbeit weiter zu, Ziel und Zweck der menschlichen Tätigkeit war allein wachsender Wohlstand, materielle Güter und anerkannte berufliche Tätigkeiten dienten zur Steigerung des Selbstwerts. 

Unterstützt wurde dies von der Strömung des Calvinismus, der die Nützlichkeit des menschlichen Handelns und wirtschaftlicher Erfolg als Selbstzweck des Lebens sah. Wirtschaftlicher Erfolg als Ergebnis von Fleiß galt als Zeichen für einen Gnadenstand – man zählte damit zu den Auserwählten, die nach dem Tod in den Himmel kommen.  

Untersuchungen des Sozialanthropologen Marshall Sahlin belegen aber, dass es die Gesellschaft der Jäger- und SammlerInnen war, die das Prädikat „ursprüngliche Wohlstandsgesellschaft“ verdient. Es war offensichtlich eine Gesellschaft, in der sämtliche materiellen Bedürfnisse der Menschen mit Leichtigkeit erfüllt werden konnten. Gleichzeitig benötigte diese Gesellschaft pro Kopf und Jahr weniger Energie als irgendeine andere menschliche Kulturform. Über hunderttausende Jahre dürften die Menschen überwiegend in egalitären Gemeinschaften gelebt haben, die vor allem von Kooperation und Kollaboration geprägt waren.

 
Das „Falsche Selbst“ 

Mit der Industrialisierung, Massenproduktion und Arbeitsteilung hat sich diese Entwicklung weiter verschärft, wie Hannah Arendt in den 50er Jahren in ihrem Werk „Vita activa oder Vom tätigen Leben“ den „Animal laborans“ eindrücklich beschreibt. Ähnlich wie Erich Fromm in „Haben oder Sein“ beschreiben sie den sogenannten Marketingcharakter, der sein ganzes Tun auf den Erhalt des äußeren Scheins fokussiert.

Was zählt ist das „Haben“ an materiellen Gütern oder sozialprestigträchtige Positionen, fokussiert auf die berufliche Tätigkeit. Die Arbeit als Mittel zum Zweck für den eigenen Selbstwert und nicht für die Entfaltung der eigenen schöpferischen Kräfte. Die Folge ist die Entstehung eines sogenannten „falschen Selbst“, das nur nach „außen“ gerichtet ist und die die eigenen Bedürfnisse völlig ignoriert. 

 

Geld regiert die Welt 

Geld regiert nicht nur die Welt, sondern seit dem Ibiza Video wissen wir, dass man sich Gesetze, staatliche Aufträge oder hohe Positionen kaufen kann. Geld ist weder gut noch schlecht, es ist eine neutrale Werteinheit. Es ist ein einfaches Tauschmittel, leider haben wir es in unserer Gesellschaft nicht nur verzweckt, sondern vom tatsächlichen Wert einer Arbeit abgekoppelt.

Wie kann es sonst sein, dass die sogenannten systemrelevante Berufe wie KassiererInnen, Müllabfuhr oder PflegerInnen, ohne die unser System die letzten Wochen kollabiert wäre, nach wie nicht den monetären Wert erhalten, den sie verdienen? Wie kann es sein, dass viele MitarbeiterInnen in unseren Verwaltungssystemen teilweise wochenlang in der Pandemie bei vollen Bezügen in Sonderurlaub geschickt werden?

So belohnen wir noch viel zu oft Leistungsverweigerer, fördern Systemausnützer, belohnen mit Sozialprestige und Anerkennung Blender, wobei die Kluft zwischen Leistung und Wertschätzung immer weiter auseinanderdriftet. 

Was können wir tun?

Unsere Systeme sind oft Quellen für Frustration, Menschen empfinden sich nicht mehr als Schöpfer des eigenen Wirkens, „haben es nicht mehr in der Hand“, fühlen Ohnmacht und Ungerechtigkeit. In einer Krise kann das eine gefährliche Mischung für soziale Unruhen werden, auch wenn sich Menschen viel gefallen lassen. 

Wir müssen Verantwortung übernehmen und entscheiden, wie wir unsere Systeme gestalten wollen, welchen Wert wir Arbeit beimessen, wie wir Menschen behandeln, welchen Wert wie ihnen geben und ob wir uns von Blendern täuschen lassen wollen.

Wenn jeder bei sich selber beginnt, in seinem eigenen Umfeld und bei seinen Beziehungen, dann brauchen wir nicht auf den großen Systemumbruch oder Revolution einer einer besseren Welt warten. Dann kann sich jeder wieder als Gestalter seines Tuns empfinden und etwas verändern. 

Es ist dringend an der Zeit, warten wir damit nicht zu lange!

 

Literaturliste

Werner Sattlegger, “Die Kunst reifer Führung”, 2022

Erich Fromm: „Haben oder Sein“

Erich Fromm: „Wege aus einer kranken Gesellschaft“

Hannah Arendt: „Vita activa und vom tätigen Leben“

Hannah Arendt: “Die Freiheit frei zu sein“

Richard David Precht: „Jäger, Hirten, Kritiker"

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Autor: Werner Sattlegger
Founder & CEO Art of Life

Experte für digitale Entwicklungsprozesse- wo er europäische mittelständische Familien- und Industrie-unternehmen von der Komfort- in die Lernzone bringt. Leidenschaftlich gerne verbindet er Menschen und Unternehmen, liebt die Unsicherheit und das Unbekannte, vor allem bewegt ihn die Lust am Gestalten und an Entwicklung.

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