Gedanken zum Jahreswechsel

“Wir haben mehr Annehmlichkeiten, aber weniger Zeit;

mehr akademische Abschlüsse, aber weniger Verstand;

mehr Wissen, aber weniger Urteilsvermögen” (Dalai Lama)

Die Pandemie hält uns weiter gefangen, Populisten spalten, Demagogen schwurbeln, die nächsten Lockdowns sind ante portas. Vieles ist zum Jahreswechsel unsicher und bedrohlich, trotzdem blicke ich voller Zuversicht in das neue Jahr. Ich bin davon überzeugt, dass wir es in der Hand haben, eine Zukunft für unser Miteinander zu gestalten, das auf einer wichtigen Grundlage ruht: persönlicher und gesellschaftliche Reife. Dies wird gelingen, wenn wir bereit sind Verantwortung für unser Tun zu übernehmen und gegenseitige Wertschätzung zu leben.

Im Grunde gut

Viele zu selten blicken wir gerade in turbulenten Zeiten auf unsere Geschichte, nicht als „früher war alles besser“ oder „uns geht eh so gut “ Verklärung, aber mit einem realistischem Blick auf unsere Entwicklung.

Kriege, koloniale Ausbeutung, gewaltvolle Revolutionen, Sklavenhandel oder Seuchen, dass alles war über Jahrhunderte Alltag. Erst mit dem Ende des 2. Weltkrieges kehrte über eine längere Zeit Friede zwischen den Ländern in Europa ein, mit der industriellen Revolution setzte ein rasanter Fortschritt in allen Lebensbereichen ein. Unser Leben wurde schneller und moderner, aber auch besser? Wenn man objektive Maßstäbe ansetzt, dann sicher. Dank besserer medizinischer Versorgung leben wesentlich länger, verfügen über unendlich viel Wissen, unser Wohlstand und Gesundheit haben sich dramatisch verbessert.  

Ob sich durch den Fortschritt auch unsere Lebenszufriedenheit so rasant verbessert hat und wir uns als Menschen auch entwickelt haben, das bleibt uns die Geschichtsforschung noch schuldig. Ich bin aber davon überzeugt, dass Wertschätzung ein Schlüssel für unsere Empfindungen ist, ein gelungenes Leben zu führen.

In dem Sinne Wert zu schätzen, für das was wir in unsere Gesellschaft an Wohlstand erreicht haben, wie lange wir nun leben dürfen, welche unfassbaren Möglichkeiten uns offen stehen, einfach gesagt, dass es uns sehr gut. Und dieses Grundgefühl, dass das Leben und der andere Mensch im Grunde gut ist, vermisse ich oft  in Begegnungen. Wertschätzung im gegenseitigem Miteinander ist der wichtigste Treibstoff für reife Beziehungen, an denen uns im Alltag oder in Organisationen oft mangelt.

Wertschätzung in Organisationen

Millionen von Mitarbeiterinnen verlassen gerade weltweit ihre Jobs, alleine seit April 2021 waren es in den USA mehr als 19 Millionen. „The great resignation“  Menschen verlassen ihre Jobs, weil sie keine  Wertschätzung erleben. In Organisationen verkommt der Begriff Wertschätzung oft zu einem buzzword,„unsere Mitarbeiterinnen sind das höchste Gut“, das steht fast auf jedem Leitbild, wird aber im Alltag oft mit Füßen getreten wird.

Dies obwohl in der Entwicklungsgeschichte der Menschheit schon früh die Bedeutung von Wertschätzung erkannt wurde. Die Griechen nannten es  Axiologie, die„Wertlehre“ oder die „Lehre von den Werten“, etymologisch stammt das Wort “Wert” aus dem Germanischen “werþa*”, was soviel wie kostbar bedeutet.

Führung ist Wertschätzung

Wertschätzung ist nichts was man in einem NLP Seminar lernen oder durch billige Tricks erwerben, noch was  zu Manipulationszwecken eingesetzt werden kann, um das Verhalten des anderen Menschen zu verändern.

Wertschätzung gelingt nur mit einem natürlichen Interesse am anderen Menschen und nicht um den anderen Menschen „zu missbrauchen“, um sich über den anderen zu erhöhen.

Was können nun Führungskräfte tun?

  • Präsent sein:

Wahrnehmen ohne zu bewerten ist eine der höchsten Formen menschlicher Intelligenz” (Krishnamurti)

Beim gegenüber muss jemand „zu Hause“ sein, nicht alleine in Form einer sozialen Rolle oder Hülle. Das erkenne ich vor allem daran, dass die Führungskraft zuhören kann, ohne gleich zu bewerten oder zu interpretieren. Den anderen Menschen ausreden lassen, auf ihn eingehen und mich nicht gleich über den anderen stellen wollen, das macht eine reife Beziehung aus.

  • Dankbarkeit zeigen:

Nichts ist selbstverständlich, weder die Arbeit der Reinigungskraft noch die Arbeit der Kassiererin im Supermarkt. Man erkennt reife Führungskräfte sehr gut daran, wie mit „einfacheren Menschen“ umgegangen wird. Ob “Chefs” diese Menschen ehrlich wertschätzen und ihnen auch für die oft nicht so sozial anerkannte  Arbeit danken, oder sich nur nach „oben sich anbiedern“.

Die höchste Form menschlicher Anerkennung in Organisationen ist die Übertragung von Verantwortung. In unseren klassisch hierarchischen Struktur will das aber oft niemand, denn es bedeutet die Abgabe von Macht. Oft wollen Führungskräfte andere Mitarbeiter nicht groß werden lassen, verlieren sich lieber im Mikromanagement, viel zu selten lassen Sie die Mitarbeiter selbst entscheiden. Vor allem wenn die Mitarbeiterinnen Fehler machen, stellen sich Führungskräfte viel zu selten schützend vor dem dem Mitarbeiter. Im Gegenteil, oft werden die Leistungen der Mitarbeiter als die eigenen Leistungen verkauft.

Selten wird darauf geachtet, ob sich MitarbeiterInnen weiter entwickeln, wie der  Entwicklungspfad aussieht, basierend auf den Potentialen. In vielen Organisationen wird dies sträflich vernachlässigt, Mitarbeiterinnen haben dann das Gefühl festzustecken, die Folge sind weitreichende Stagnation und Frustration. Gerade die Generation Z ist anders, sie verlangt weniger Geld aber mehr Entwicklung.

Wir leben in aufregenden Zeiten, vieles bleibt unsicher, aber wir haben es in der Hand, wohin wir uns entwickeln. Dafür müssen wir aber Verantwortung übernehmen, für unser Tun, Denken und Handeln, auch für das was wir nicht tun.

Letztlich beginnt Wertschätzung aber immer bei einem selber. Wenn ich mich selber wertschätze, dann kann ich andere wertschätzen. Für mich persönlich ist Wertschätzung ein zartes Pflänzchen, dass ich jeden Tag gießen und das viel bewirken kann. Zum Jahreswechsel wünsche ich mir, dass dies in unserem Lebensalltag vor allem auch in Organisationen wieder mehr in das Bewusstsein rückt.

Dann wird die Welt und unsere Beziehungen in den nächsten Jahren sicher anders aussehen.

Literatur:

Werner Sattlegger, “Die Kunst reifer Führung”, 2021

Veranstaltungen:

Theaterworkshop, “Pure Joy of Presence”, 22/23 Jänner

 
 

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Autor: Werner Sattlegger
Founder & CEO Art of Life

Experte für digitale Entwicklungsprozesse, wo er europäische mittelständische Familien- und Industrie-unternehmen von der Komfort- in die Lernzone bringt. Leidenschaftlich gerne verbindet er Menschen und Unternehmen, liebt die Unsicherheit und das Unbekannte, vor allem bewegt ihn die Lust am Gestalten und an Entwicklung.