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Mit echtem Leadership "zur Sache selbst kommen"

In der  Covid Krise wird sichtbar, was bisher unsichtbar war: seien es gute und reife Führungskräfte, Freunde oder reife Organisationen, die Verwundbarkeit  und Ungleichgewichte unserer Systeme oder das Entstehen  kollektiver Angstneurosen, teilweise  durch evidenzlose Totschlagargumente. Viele Menschen haben das Gefühl getäuscht worden zu sein, haben Existenzängste oder das Vertrauen in die eigenen Möglichkeiten verloren. Was bleibt ist oft der schale Geschmack des ohnmächtigen Ausgeliefertseins von Staatsgewalten, die nicht nur in Grundrechte eingreifen, sondern de facto Berufsverbote verhängen können. 

Führungskräfte in der öffentlichen Verwaltung, Wirtschaft oder Politik könnten die nächsten Sommermonate nutzen, um zu evaluieren und vielleicht auch selbstkritisch zu prüfen, was gut und schlecht gelaufen ist. Niemand von uns hatte schon einmal eine solche Situation erlebt, wir alle machen Fehler und jetzt geht es darum, daraus zu lernen. Fehler machen ist erlaubt, aber nicht nichts daraus zu lernen.

Wir können uns als Gesellschaft und Wirtschaft nur weiterentwickeln, wenn wir wieder Vertrauen und Glaubwürdigkeit entwickeln. Das gelingt uns dann, wenn wir die Dinge beim Namen nennen, transparent handeln, wir wieder „zu den Sachen selbst“ kommen. Das ist ein Begriff aus der Phänomenologie, der gerade in der aktuellen Krisenzeit relevanter denn je ist. Es bedeutet den ganzen „Schnick Schnack“ wegzulassen, das Aufgesetzte, Künstliche oder Unechte, egal ob in Produkten, Beziehungen oder menschlichen Verhalten, das ist es worum es nun geht. 

 „Zur Sache selbst kommen“ - Phänomenologie 

Das Wort Phänomenologie stammt vom altgriechischen Wort “phainomenon” und bedeutet “Sichtbares” oder  “Erscheinung”.  Das Wort Phänomen beschreibt damit  ein mit den Sinnen wahrnehmbares Ereignis. 

In Europa war es vor allem Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770-1831), der mit „Phänomenologie des Geistes“ diesen Begriff bekannt machte. Unter Phänomenen verstand er die Gesamtheit aller Erscheinungen des Geistes im Bewusstsein. Am Beginn des letzten Jahrhunderts war es der deutsche Philosoph Edmund Husserl (1859 – 1938), der einen richtigen philosophischen Handwerkskoffer entwickelte, der vor allem für Führungskräfte in Zeiten der Krise einsetzbar ist. 

Husserl und dann später sein Schüler Martin Heidegger waren der Meinung, dass wir, wenn wir vorurteilsfrei unsere Erkenntnisweise von der Welt erfassen wollen, zunächst von allen Vorannahmen, Theorien und Selbstverständlichkeiten absehen müssen, damit „die Sachen selbst“ zum Vorschein kommen, so wie sie sind. 

Husserl nannte diese Methode „Epoché“ (ein alter Begriff für „Enthaltung“, „Innehalten“), das vorläufige „Einklammern“ aller Vorannahmen und Vormeinungen „eidetische Reduktion“.

Mit den Methoden der Epoche und eidetischen Reduktion können Führungskräfte wie in einem  Brennglas oder beim Zwiebelschälen zu den Dingen und Sachen selbst kommen. Führungskräfte können sich ohne Vorurteile fragen, was mir in der Zusammenarbeit mit Mitarbeitern wichtig ist, was ist eigentlich der Kernauftrag oder Existenzberechtigung meiner Organisation ist oder wie kann ich in Zukunft einen Mehrwert schaffen?

Weglassen was nicht notwendig ist, indem Ineffizienzen reduziert werden und Raum für Neues geschaffen wird.  Sei es die Einführung von Künstlicher Intelligenz oder neue Geschäftsmodelle, „zur Sache selbst kommen“ hat viele Seiten und ist gerade jetzt relevanter denn je.

Widerspruch zulassen und damit zu wachsen

Georg Wilhelm Friedrich Hegel hat uns mit der Dialektik ein weiteres hilfreiches Instrument an die Hand gegeben. Es beschreibt nicht nur die Art, wie sich unser Denken vollzieht, sondern die Dialektik ist die Form, in der sich das ganze Sein entwickelt. Es bedeutet eine Welt voller Gegensätze und ist damit mit Widersprüchen geprägt, nichts existiert ohne sein Gegenteil. Die Nacht bedingt den Tag, die Kälte die Hitze, der Geiz die Großherzigkeit. Das Leben, Beziehungen oder Systeme sind nicht glatt oder eben, nein: sie sind voller Widersprüche und Gegensätze.

Da dies die Grundausrichtung der Natur ist, sind diese  Widersprüche nach Hegel Triebkraft der Bewegung und die Voraussetzung von Existenz. Im Grunde geht es immer um einen Dreischritt, zuerst gibt es eine These, zu der es einen Gegensatz in Form einer Antithese gibt und erst in der Integration entsteht die Synthese, damit Weiterentwicklung von Leben. In der Hermetik wird es Polarität, in der Psychotherapie Schattenarbeit genannt. 

Führungskräfte müssen gerade in Zeiten der Unsicherheiten Ambiguitäten nicht nur aushalten, sondern sie zulassen und integrieren, wollen Sie Erneuerungen wie digitale Transformation ermöglichen.  

Existentialismus und Verantwortung übernehmen

Der Mensch ist dazu verurteilt, frei zu sein. Verurteilt, weil er sich nicht selbst erschaffen hat, und dennoch frei, weil er, einmal in die Welt geworfen, für all das verantwortlich ist, was er tut.

Der Existenzialismus ist die französische Ausformung der Existenzphilosophie, die in der Zeit nach dem 2. Weltkrieg nachhaltig von Jean-Paul Sartre, Simone de Beauvoir oder Albert Camus.  Im Mittelpunkt dieser Philosophie steht der  Mensch, da er das einzige Lebewesen ist, das sich über seine eigene Existenz bewusst ist. Durch dieses Bewusstsein ist der Mensch aufgefordert für sein Denken und Handeln Verantwortung zu übernehmen, damit ist er zur Freiheit verurteilt.

Sartre sagt, dass jeder Mensch sich selbst und sein Leben eigenverantwortlich gestalten muss und es die Kernaufgabe des Menschen ist, seinem Leben Bedeutung zu geben. 

Wir sind nicht nur radikal frei unser Leben zu gestalten, sondern dazu verpflichtet - damit sind wir aufgefordert unsere Identität zu definieren! 

Klassische Fluchtmechanismen sind der Selbstbetrug, wie sie Sartre und die Existentialisten nannten: „Ich kann nicht …“, „Ich muss …“, „Ich kann nicht anders …“, „Ich brauche…“, „Ich kann nicht ohne …“. Diese werden von den Existentialisten nicht zugelassen, da wir uns damit unsere Welt als Gefängnis wählen. Dort fühlen wir uns zwar sicher, aber nur scheinbar!

Denn das Leben ist unsicher, wer das nicht will, der will das Leben nicht. Aber in dieser Unsicherheit kann aber auch eine Sicherheit liegen, die vor allem getragen sind von Vertrauen und Hingabe. 

Pablo Picasso:

Finden, das ist das völlig Neue. Alle Wege sind offen, und was gefunden wird, ist unbekannt. Es ist ein Wagnis, ein heiliges Abenteuer.

 Die Ungewissheit solcher Wagnisse können eigentlich nur jene auf sich nehmen, die im Ungeborgenen sich geborgen wissen, die in der Ungewissheit, in der Führerlosigkeit geführt werden, die sich im Dunkeln einem sichtbaren Stern überlassen, die sich vom Ziele ziehen lassen und nicht selbst das Ziel bestimmen.

Was bedeutet es für Führungskräfte?

Führungskräfte sind keine Therapeuten oder Psychologen. Den Dingen auf den Grund zu gehen, authentisches und reifes Führen ist weder als Managementtrick noch bei einem Executivetraining erlernbar, sondern kann sich nur in einer reifen Persönlichkeit heraus entwickeln. Eine Führungskraft, die sich mutig für das Unbekannte öffnet, die bereit ist, nicht nur Risiken einzugehen, sondern auch bereit ist, Konflikte einzugehen und Dinge offen anzusprechen, eine Persönlichkeit, die Zuhören kann, mit hoher Glaubwürdigkeit Vertrauen und Offenheit aufbauen kann. Führungskräfte müssen gerade jetzt mutig voran gehen, finden ohne zu suchen, Gegensätze und Widersprüche aushalten und damit menschliche Potentiale entwickeln.

Wenn Organisationen Scheinaktivitäten eliminieren und Führungskräfte lernen mit eigenen Ängsten und den der anderen umzugehen, dann können Organisationen wieder das werden, was sie eigentlich sein sollten: Orte der Potentialentfaltung und des kreativen Schaffens.

Literaturliste:

Sarah Bakewell: “Das Cafe der Existentialisten”

Georg Wilhelm Friedrich Hegel: “Die Phänomenologie des Geistes”

Jean Paul Sartre: “Das Nichts und das Sein”

Autor: Werner Sattlegger
CEO & Founder Art of Life

Werner Sattlegger ist Experte für digitale Entwicklungsprozesse, wo er europäische mittelständische Familien- und Industrieunternehmen und Führungskräfte von der Komfort- in die Lernzone bringt. Leidenschaftlich gerne verbindet er Menschen und Unternehmen, liebt die Unsicherheit und das Unbekannte, vor allem bewegt ihn die Lust am Gestalten und an Entwicklung.

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