Zur Ruhe kommen

 

„Wir alle möchten unser Leben so vollständig wie möglich leben, deshalb müssen wir lernen, dort zu sein, wo das Leben stattfindet, nämlich genau hier, jetzt.“

(Fred von Allmen)

Laut und hektisch ist unsere Welt geworden. Sich ständig Likes auf Social Media abholen, sofort jedes Mail beantworten zu müssen und ja kein Whats App versäumen. Ständig sind wir am texten, scannen und scrollen, unsere Welt ist laut geworden, voller Ablenkungen. Genau das macht auch unser Geist, ständig hüpft er hin und her. Das trennt uns nicht nur vom Hier und Jetzt, sondern auch von unseren schöpferischen Quellen  der Kreativität. Wie wir im Alltag zur Ruhe kommen können, darüber haben Manuela und Werner Sattlegger in Podcastepisode #26 gesprochen.

Die Welt in der wir leben

Menschen sind heute getrieben, digitale Medien geben das Tempo vor, die uns abhängig und süchtig machen lassen. Gleichzeitig hecheln viele Menschen im Alltag einem vermeintlichem Glück von Geld, Ruhm oder Macht hinterher und geraten so in einer hedonistische Falle.

"Wir leben unter dem permanenten Zwang zur Selbstoptimierung", beschreibt der Soziologe Hartmut Rosa die Beschleunigung unserer Zeit, wo vor allem die Resonanzerfahrung verloren gegangen ist. Immer schneller und besser ist das Dogma unsere Zeit. Immer die optimale Variante, Multitasking und Hypereffizienz sollen es richten. Auf der anderen Seite boomt Esoterik und Selbstverwirklichung, Bücher über Aussteiger oder Klosterseminar finden reisenden Absatz, bis hin zu dogmatischen Heilsverspechungen. So erleben wir das Leben nicht, denn das Leben ist nicht nur Hell und Dunkel, Gut oder Böse sondern findet immer dort statt, wo wir gerade sind.

Auswirkungen:

Manfred Spitzer hat mit dem Begriff der digitalen Demenz einen sehr populären Begriff geprägt, der die negativen Auswirkungen des Internets auf unser Gehirn beschreibt. Dass eine große Anzahl an „Likes“ das süchtig machende Dopamin ausschüttet, ist bewiesen – aber ob auch alle Aspekte des Internets negative Auswirkungen haben, ist nicht bestätigt (siehe Markus Appel und Constanze Schreiner vom Fachbereich Psychologie der Uni Koblenz-Landau).

Aber es ist unbestritten, dass die permanenten Ablenkungen unserer digitalen Segnungen uns vom Hier und Jetzt trennen. Diese externe Ablenkungen verstärken oft den Affenzirkus in unserem Kopf, man hüpft ständig von einer Bewertung zu anderen. Ständig wird analysiert, interpretiert oder geplant, wir verlieren uns ins Gestern und sorgen uns um das Morgen. Selten sind wir im “very moment”, dort wo Kreativität und Intuition zu finden sind.

Auswege aus dem “Flohzirkus”

Unsere Aufmerksamkeit ist meist von früh bis spät nach außen gerichtet – auf Arbeit, Medien, Verkehr, die Bedürfnisse anderer. Wer seinem eigenen Bedürfnis nach Rückzug, von Zeit zu Zeit folgt, indem er „achtsam“ den Körper, die Atmung, Gedanken und  Gefühle wahrnimmt, ohne direkt etwas beurteilen oder ändern zu wollen, kommt auf besondere Weise in Kontakt zu sich selbst. Hier stellen wir gerne eine paar sehr erprobte Zugänge vor:

  • MBSR (Mindful based stressed reduction)

Eine der Schlüsseluntersuchungen in den letzten Jahren über kontemplative Neurowissenschaften wurde von Richard Davidson und Jon Kabat-Zinn durchgeführt. Diese Arbeit nimmt eine Schlüsselfunktion ein, da sie die erste Studie im betrieblichen Umfeld war und in einer Biotechfirma durchgeführt wurde. Das Ergebnis war erstaunlich: die Probanden hatten nach dieser Zeit eine höhere Konzentration, weniger Angst und größere Kreativität. Vor allem der methodische Zugang des sogenannten Bodyscan ist sehr effektiv und jederzeit durchführbar:

Kommen Sie zur Ruhe, atmen Sie tief in den Bauch hinein und spüren Sie, wie sich mit jedem Atemzug die Bauchdecke leicht hebt und senkt. Lassen Sie sich etwas Zeit.

Nun lenken Sie Ihre Aufmerksamkeit in den linken Fuß. Stellen Sie sich vor, dass Sie bis in die Zehen „hinein atmen“. Spüren Sie den großen Zeh, den kleinen, die Zehen dazwischen. Registrieren Sie alle Empfindungen und Spannungen: Sind Ihre Zehen warm oder kalt, oder beginnen sie plötzlich zu kribbeln? Wenn Sie nichts spüren, dann eben nicht. Welche Empfindungen auch immer auftauchen – sie werden einfach nur wahrgenommen. Dann stellen Sie sich vor, dass Sie mit dem Ausatmen alle Gefühle und Spannungen loslassen.

Auf diese Weise lenken Sie Ihre Aufmerksamkeit nach und nach auf Fußsohle, Fußrücken, Sprunggelenk, Unterschenkel, Knie, Oberschenkel, Leiste.

Tasten Sie so Ihren ganzen Körper ab: rechter Fuß bis Leiste, Unterleib, Gesäß und Becken, die Wirbelsäule von unten nach oben, Finger der linken Hand bis zur Schulter, Finger der rechten Hand bis zur Schulter, Nacken, Hals, Gesicht, Kopf bis zum höchsten Punkt.

Am Ende der Übung – sie dauert etwa 30 Minuten - spüren Sie noch einmal Ihre Atmung und kommen in Ihrem Tempo in die Gegenwart zurück.

  • Atemmediation

Der Atem ist in allen traditionellen Heilslehren der Schlüssel für Präsenz, Energie und Transformation. In der westlichen Welt wird dies gerade erst erforscht, wie unter anderen im Bestseller von James Nestor “Breath”, der akuelle Forschungsergebnisse zusammengetragen hat. Eine einfache Atemmeditation wäre wie folgt:

Sitze auf einen Stuhl, nimm eine bequeme Haltung mit geradem Rückgrat ein, lege Deine Hände auf die Oberschenkel. Lass dem Atmen im natürlichen Rhythmus geschehen und beginne diesen Atem zu beobachten.  Du atmest ein , Du atmest aus. Wie in einem Affenzirkus werden dauernd Gedanken auftauchen; Ich muss doch jenes tun, ich muss dieses tun. Gestern hätte ich , morgen sollte ich.

  • Intuitiv Malen und Schreiben

Das intuitive Malen bietet eine wunderbare Möglichkeit, ins Hier und Jetzt zu kommen. Es geht hier nicht darum ein Kunstwerk zu schaffen, sondern der Seele die Möglichkeit zu geben, zu atmen indem sie sich ausdrückt. Gewohnte Pfade verlassen, etwas auszuprobieren und mich leiten zu lassen, ohne zu wissen, wo es mich hinführt. Mich von meinen Impulsen und Intuitionen leiten zu lassen, ohne zu interpretieren oder zu analysieren, ohne zu grübeln führt uns in den gegenwärtigen Moment.

Das gleiche Phänomen erleben wir bei den sogenannten Morgenseiten, eine Übung von Julian Cameron. Jeden Tag in der Früh sein Tagebuch nehmen und die nächsten 20 Minuten seinen Stift einfach freien Lauf lassen und schreiben, was einem gerade durch den Kopf geht. Es muss weder einen Sinn ergeben, noch sollte es danach gelesen werden, einfach den Stift in Bewegung halten, nicht absetzen, nicht denken, nicht interpretieren - einfach geschehen lassen.

Beide Zugänge sind kleine und einfach umsetzbare Rituale, die uns sofort in das Hier und Jetzt bringen.

Auswirkungen von Achtsamkeit

Für diese Rituale müssen wir weder Mediationskurse gehen, den Jakobsweg gehen oder uns in ein Kloster zurückziehen, sondern es reichen kleine Auszeiten im Alltag. Was dann passieren kann, das wurde in den letzten Jahren umfassend untersucht.

So wurde nachgewiesen, dass Achtsamkeitsrituale bestimmte Gamma-Wellen mit hoher Amplitude erzeugen können, die oft mit besonders guten Gedächtnis-, Lern-und Wahrnehmungsleistungen in Verbindung gebracht werden. So hat der israelische Medizinsoziologe Dr. Antonovsky auch herausgefunden, welche Eigenschaften und Ressourcen es Menschen erlauben, Stresssituationen besser zu bewältigen. Die Probanden waren durch Achtsamkeitsrituale nicht nur kreativer, energiegeladener und weniger gestresst, sondern hatten auch das Gefühl den Alltag besser in den Griff zu bekommen.

“Verzweckung und spirituelle Falle”

Praktiken von Achtsamkeit und Mediation sind seit Jahrtausenden bei allen Urvölkern bekannt und werden dort praktiziert. Im Westen scheinen wir diese Ressourcen verloren zu haben, wir beginnen dies gerade wieder für uns zu entdecken. Die Gefahr dabei ist, dass Menschen oder Organisationen nun mit Achtsamkeitsritualen beginnen, um etwas zu erreichen - besser, gescheiter, glücklicher oder leistungsfähiger zu werden. Das ist aber eine Sackgasse, führt gerade in Organisationen nur zu Widerstand und ist viel zu einseitig.

Die andere Gefahr lauert in der sogenannten “spirituellen Falle”, viele Menschen mit Meditationserfahrung glauben “etwas besseres oder weiter zu sein”. Manche sehen es sogar als Wettbewerb, wo es darum geht immer mehr Stunden zu meditieren.

Ausblick

Mich auf meinen Atem zu konzentrieren, im Hier und Jetzt zu sein, meinen Körper zu spüren, dass kann überall tun. Wir sind davon überzeugt, diese sehr einfachen Zugänge enorme Auswirkungen haben, um wieder ein Stück zu uns selber zu kommen. Dort wo unsere Geist wieder ruhig werden kann, Gedankenmühlen uns nicht mehr einsperren und wir so Raum für Neues schaffen können, genau das, was die Welt nun braucht.

Autoren: Mag. Manuela und Werner Sattlegger, Founder Art of Life

Lesetip:

Werner Sattlegger: “Die Kunst reifer Führung”, 2022

Gesund durch Meditation. Das große Buch der Selbstheilung. (Jon Kabat-Zinn)

Point Zero – entfesselte Kreativität. (Michele Cassou)

Julian Cameron - “Der Weg des Künstlers

James Nestor - Breath

Veranstaltung:

Day of Play, 25. Juni, 2022

 

Autor: Werner Sattlegger
Founder & CEO Art of Life

Experte für digitale Entwicklungsprozesse, wo er europäische mittelständische Familien- und Industrie-unternehmen von der Komfort- in die Lernzone bringt. Leidenschaftlich gerne verbindet er Menschen und Unternehmen, liebt die Unsicherheit und das Unbekannte, vor allem bewegt ihn die Lust am Gestalten und an Entwicklung.