Hedonistische Tretmühle
Explodierende Energiepreise oder Lieferengpässe, egal warum, Unternehmen sind gerade gehörig unter Druck. Vor allem der Fachkräftemangel treibt die Fantasie der Unternehmer an, so versprechen viele ein Schlaraffenland, um attraktiv Mitarbeiter zu finden. Wie beim Fischen wird ein Köder ausgelegt, bekannt als „hedonistische Falle“. Was dieses Phänomen ist, wie es mit dem Fachkräftemangel und einem gelungenen Leben zusammenhängt, darum geht es in diesem Beitrag und der aktuellen Podcast Episode mit Manuela und Werner Sattlegger.
Was ist die hedonistische Tretmühle ?
Der Begriff „Hedonistic Treadmill“ stammt von den beiden Psychologen Philip Brickman (1943-82) und Donald T. Campbell (1916-96). Sie erläuterten in einem Aufsatz aus dem Jahr 1971, dass die Stimmungen eines Menschen als Reaktion auf gute und schlechte Erfahrungen sich zwar verändert, aber schnell wieder in die Neutralität zurückkehrt, so dass sowohl Glück als auch Traurigkeit vorübergehend sind.
Macht ein Lottogewinn glücklich ?
In einem weiteren Artikel im Journal of Personality and Social Psychology (1978) wiesen Brickman und zwei Kollegen nach, dass Lotteriegewinner kurze Zeit nach den Ereignissen, die ihr Leben verändert haben, nicht wesentlich glücklicher und Unfallopfer, die querschnittsgelähmt sind, nicht wesentlich weniger glücklich sind als andere Menschen. Wir scheinen unser gesamtes Leben externen positiven Ereignissen nachzulaufen, obwohl diese kaum einen nachhaltigen Effekt auf unser Glücksgefühl haben.
“Happiness Set Point”, die Grundlinie des Glücks
Denn die durch einen bestimmten Reiz hervorgerufene Zufriedenheit oder Unzufriedenheit lässt mit der Zeit nach und die Menschen kehren unweigerlich zu einem Niveau hedonistischer Neutralität zurück. Bislang wird diese Grundlinie gewöhnlich als “Happiness Set Point” bezeichnet, ein Begriff, der von Lykken und Tellegen (1996) in die Diskussion eingebracht wurde. "Unser Glück verbraucht sich und muss erneuert werden", schreibt Dr. Lykken, "Seien Sie deshalb ein bewanderter Epikureer. Finden Sie die kleinen Dinge des Lebens heraus, von denen Sie wissen, dass sie Ihnen Spaß und Freude machen: Gutes Essen, gutes Trinken, im Garten arbeiten, Freizeit mit Freunden verbringen, die Liste ist endlos. Auf lange Sicht werden Sie damit glücklicher leben, als mit irgend einer einzigartigen, großartigen Leistung, die das große Glück verspricht.”
Wieviel Geld braucht Glück ?
Während der 1990er wurde diese Idee dann durch den britischen Psychologen Michael Eysenck zu der heute bekannten hedonistischen Tretmühlen-Theorie modifiziert, die das Streben nach Glück mit einer Tretmühle vergleicht: Man arbeitet die ganze Zeit daran, immer mehr und härter, trotzdem hat man das Gefühl am selben Platz zu sein. Oft erleben wir noch das Gegenteil, verklärt blicken wir auf die unbeschwerte Jugend oder Studentenzeit, wo vieles noch spielerisch und leicht war, vor allem beglückend.
Vor allem scheinen wir später in unserem Leben in eine weitere Falle zu tappen, der Geldfalle. Der britische Sozialforscher Richard Easterlin untersuchte im Jahre 1973 die Frage, ob Geld glücklich macht, bekannt als das Easterlin Paradox. Er stellte unter fest, dass US-Amerikaner trotz starker Einkommenszuwächsen nicht glücklicher geworden seien. Die Studien wurde in späterer Folge immer wieder einmal wiederholt, teilweise auch kritisiert, aber am Ende konnte Easterlin sogar eine Summe als “Tipping Point” nennen, an welchem das subjektive Glücksgefühl wieder abnimmt – diese Summe beträgt 75.000 Dollar.
“Desensibilisierung”
Dazugehörig ist das Phänomen der “Desensibilisierung”, das von Frederick und Löwenstein (1999) beschrieben wurde: zum Beispiel fühlt sich ein Abendessen in einem schicken Restaurant mit der Zeit immer weniger besonders an und ist daher mit weniger Freude und Vergnügen verbunden, je öfter man es erlebt.
Was bedeutet das für Führungskräfte ?
Unternehmen spielen noch immer auf dem Klavier der extrinsischen Motivation, obwohl schon jahrzehntelang (seit Reinhard Sprenger’s Buch “Mythos Motivation”) bekannt ist, dass dies nicht funktioniert. Motivation steigert sich nur sehr kurzfristig durch externe Leistungsanreize, die “Karotte” hat keinen nachhaltigen Effekt.
Das Ergebnis ist eine hedonistischen Falle.
Beispiel:
Im Laufe der Zeit werden Menschen in ihrer Karriere von diesen Anreizen abhängig, man gewöhnt sich an das Dienstauto oder die jährliche Belohnung, auch wenn dies nicht glücklich macht.
Dann kommen oft noch monetäre Abhängigkeiten, wie z.B. laufende Kredite oder die Studiengebühren der Kinder hinzu, die den Handlungsspielraum weiter einschränken. Die Ansprüche werden höher, man arbeitet mehr und härter, aber gleichzeitig bleibt das Lebensglück gleich oder es verringert sich sogar, weil man sich daran gewöhnt. Die Falle schnappt zu, man ist in der Abhängigkeit, unfrei und oft unglücklich. Man ist der süßen Versuchung erlegen, dass materielle Güter Wege zum Glück sind, obwohl schon seit Jahrtausenden bekannt ist, dass dies nicht so ist.
Wann Menschen motiviert sind
Organisationen und Führungskräfte können natürlich Incentives und gute Rahmenbedingungen bieten, aber viel mehr wollen Menschen ehrliche und gute Beziehungen, Räume zur Entfaltung ihrer Potentiale, wo sie sich spielerisch, kreativ und neugierig entwicklen können. Arbeit wird dann zu einem Ort, wo ein gelungenes Leben möglich ist, nicht in Form von Sozialromantik, sondern wo auch Hochleistungen möglich sind. Einfach weil Menschen dann vertrauen, sich begeistern und damit wesentlich zum Ergebnis beitragen. Denn Menschen wollten weder mit Incentives manipuliert, noch mit schrägen Zielvereinbarungen geködert werden. Denn Menschen in Organisationen wollen einfach Wertschätzung erfahren.
Wege eines gelungenen Lebens
Epikur war der erste, der vorschlug, dass der beste Weg zur Verbesserung des menschlichen Lebens darin bestünde, Vergnügen zu haben und Schmerz zu vermeiden. Im Gegensatz dazu glaubte der Stoiker Seneca, dass Tugend allein für das Glück ausreicht, wie auch später Aristoteles. Auch wenn sie sich nicht einig waren, was Glück ist und wie es erreicht werden kann, waren sich alle großen antiken Philosophenschulen darin einig, dass der Besitz bestimmter materieller Güter wie Geld nicht garantieren kann, dass das Wohlbefinden des Menschen über eine bestimmte Schwelle hinaus steigt.
Menschen wollen leisten
Die Sehnsucht zu leisten, beizutragen oder zu entdecken, die ist in jedem von uns tief verankert, davon bin ich überzeugt. Aber irgendwann im Laufes des Lebens verlernen wir diese Entdeckerlust, meiner Erfahrung nach ist es vor allem unser starres und anachronistische Schulsystem. Der Lerndurst der Kinder wird oft förmlich erstickt, permanentes „Richtig und Falsch“ verursacht psychischen Stress. Weil Leistung vor allem mit Anerkennung und Belohnung verknüpft wird, “ich leiste etwas um etwas anderes zu bekommen”, wie Liebe, angenommen sein oder was auch immer. Es entsteht ein „um zu“, ich leiste nicht mehr um der Leistung willen, sondern um ein Ergebnis zu bekommen.
Wie kommen wir aus der hedonistischen Falle?
Unserer Erfahrung nach spiegelt sich ein gelungenes Leben nicht in der Anhäufung von materiellen Dingen wieder, was zwar den persönlichen Handlungsspielraum im Leben erweitert, aber auf Dauer keine Lebensfreude gibt.
Was im Leben wirklich zählt sind gelungenen soziale Beziehungen, persönliche Erfahrungen, Möglichkeiten sich als Mensch zu erfahren und zu entwickeln. Es sind Dinge, die unseren explorativen Geist nähren und uns als Menschen in die Lebendigkeit führen. Dann müssen wir auch nicht unangenehmen Situationen aus dem Weg gehen, sondern nehmen diese dankbar als Möglichkeit für persönliche Entwicklung an. Dann entsteht vielleicht so etwas wie tief empfundene Freude, jenseits von externen Kicks oder Spaßereignissen.
Variablität und Dankbarkeit
Die Sozialforschung hat hinreichend belegt, dass die sogenannte “Desensibilisierung” rasch zu Gewohnheitseffekten führt, die das Glücksempfinden reduziert. Das können wir verhindern, in dem wir Vielfalt und Unterschiedlichkeit in unserem Leben und Arbeit ermöglichen, in Form von Abwechslungen, die wach hält. Die andere Ebene ist Dankbarkeit und Wertschätzung, nicht in Form von “habe ich es wohl verdient”, sondern in einem tief empfundenen Gefühl der Wertschätzung, im Wissen dass nichts selbstverständlich ist.
“Anhedonie”, wenn man keine Freude mehr empfindet
Denn die Alternative ist nicht vielversprechend und heisst “Anhedonie”, die den Verlust der Fähigkeit beschreibt, Freude zu empfinden, in Situationen, die früher Freude bereitet haben. Dies kann wiederum zur Alexithymie führen, der Unfähigkeit Gefühle zu “fühlen und auszudrücken“. Ein in der Bevölkerung bei etwa zehn Prozent anzutreffendes Persönlichkeitsmerkmal, das in den letzten Jahren dramatisch zugenommen hat (der Begriff wurde vom Harvard Professor Peter Sifneos bereits in den 70er Jahren geprägt).
Wohin die Reise geht
Die heranwachsende Generation Z scheint schon die Lektionen gelernt zu haben, Tretmühlen oder Sozialstatus interessiert diese Generation nicht mehr, viel eher schon Selbstverwirklichung und eine spannende Unternehmenskultur. Vielleicht haben viele dieser jungen Menschen gesehen, wie sich die Babyboomer abschuften, trotzdem nicht glücklich wurden.
Denn Menschen bereuen am Ende ihres Lebens nicht das was sie gemacht haben, sondern das was sie nicht gemacht haben, was sie verpasst haben, weil sie sich nicht getraut haben. Sei es bei Vätern das Heranwachsen der Kinder oder sonst Dinge zu verwirklichen, von denen sie schon immer geträumt haben.
Am Weg zu einer Sinngesellschaft
Der Fachkräftemangel wird weiter zunehmen, wie werden einen weiteren Shift hin zu einer Sinngesellschaft erleben. Unternehmen werden daher gut beraten sein, nicht alleine die hedonistische Falle zu bedienen, wollen sie Menschen für ihr Unternehmen begeistern. Und überhaupt ist es nun an der Zeit, sich Fragen eines gelungenen Lebens und dessen Grundlagen zu stellen:
Was ist für mich ein gelungenes Leben, was brauche ich zum leben, wo lebe ich in einer hedonistischen Tretmühle ?
Welchen Preis zahle ich für einenLuxus, der mich vielleicht sogar unglücklich macht ?
Was macht mich lebendig, was möchte ich noch erleben ?
Fragen, denen man nicht aus dem Weg gehen darf, will man ein gelungenes Leben jenseits eine hedonistischen Tretmühle führen. Und zwar ein gelungenes Leben in Einklang mit unserer wahren Natur, das erfüllt ist von Dankbarkeit und Freude, das vor allem auch Leistung und Ergebnis beinhaltet. Aber nicht manipuliert oder “um zu” erzwungen ist , sondern organisch entsteht.
Autoren: Mag. Manuela und Werner Sattlegger, Founder Art of Life
Lesetip: Werner Sattlegger: “Die Kunst reifer Führung”, 2022
Experte für digitale Entwicklungsprozesse, wo er europäische mittelständische Familien- und Industrie-unternehmen von der Komfort- in die Lernzone bringt. Leidenschaftlich gerne verbindet er Menschen und Unternehmen, liebt die Unsicherheit und das Unbekannte, vor allem bewegt ihn die Lust am Gestalten und an Entwicklung.