KI - Servicemodelle für den Mittelstand

Die mittelständische Industrie, in Deutschland und Österreich das Rückgrat unserer Wirtschaft, wie es so oft genannt wird. Sie repräsentieren in der EU ca. 99 % aller Unternehmen und sind für zwei Drittel der gesamten Beschäftigung verantwortlich. Diese Unternehmen sind oft im Familienbesitz, nicht selten schon über viele Jahrzehnte und mehrere Generationen hinweg.

Wie diese Unternehmen es nicht nur schaffen, über Generationen hinweg erfolgreich zu bleiben, sondern wie sie sich nun auf den aktuellen Wandel mit neuen Geschäftsmodellen vorbereiten, darum geht es in diesem Beitrag.

Was mittelständische Unternehmen auszeichnet

Diese kennzeichnet oft eine einzigartige Mischung aus Tradition und Verantwortungsbewusstsein, gepaart mit einer großen Portion Mut, langfristigem Denken und Innovationskraft. Denn viele dieser Unternehmen haben nicht nur Transformationen erfolgreich überlebt, sondern sich dabei auch erfolgreich weiterentwickelt.

Egal ob Wietersdorfer, Fill, Springer, FP-Unternehmensgruppe , Wienerberger , Hirsch Servo oder Kollitsch, alles Unternehmen, die von großen Visionären mit einer einfachen Idee gegründet wurden. Und Dank unermüdlichen Fleißes, Disziplin und Innovationskraft haben sie sich einiger der genannten Unternehmen sogar im Weltmarkt etabliert.

All die genannten Unternehmen waren oder sind Teilnehmer bei unseren Silicon Valley Lernreisen, wo wir uns nicht nur die vielfältigen Anwendungsfälle von KI ansehen, sondern auch gemeinsam unter den TeilnehmerInnen neue Geschäftsmodelle entwickeln. Jede Woche entstehen gerade eine unglaubliche Fülle an neuen Start Ups im Bereich KI, nicht nur im Bereich der Textverarbeitung sondern auch für die mittelständische Industrie.

Welche Möglichkeiten KI für den Mittelstand bietet

Künstliche Intelligenz (KI) ist zwar gerade auf Grund der Möglichkeiten der großen Sprachmodelle wie ChatGPT in aller Munde, dabei wird aber völlig außer acht gelassen, was KI für die Wettbewerbsfähigkeit von mittelständischen Industriebetrieben noch bietet: prädiktive Maintenance, personalisierte Produkte und Dienstleistungen, automatisierte Fertigung, Optimierung der Lieferkette, intelligentes Energiemanagement, Kundenunterstützung sowie völlig neue Geschäftsmodelle in Form Services.

Im Folgenden geht es vor allem um diesen Servicebereich, der für jedes Unternehmen dank KI ungeheure Möglichkeiten bietet, vor allem aber für die mittelständische Industrie.

What the customer buys and considers value is never a product. It is always a utility – that is, what a product does for him.“ - Peter Drucker

Das heißt: Kein Kunde kauft jemals ein Erzeugnis. Er kauft immer das, was das Erzeugnis für ihn leistet, den Nutzen. Fragen Sie sich, wie Sie diesen Nutzen auf anderem Wege bringen können als nur durch den Verkauf eines Produktes.

Art of Servitization

Diese Art der Dienstleistung wird auch Servitiziation genannt, wobei diese unterschiedliche Reifegrade aufweisen, (wie von Tim Baines vorgeschlagen)

  • Base Services: Bei den "Base Services" handelt es sich um zusätzliche Dienstleistungen, die über die reine Produktbereitstellung hinausgehen, wie beispielsweise ein Ersatzteil-Service.

  • Intermediate Services: diese haben das Ziel, die Funktions- und Leistungsfähigkeit des Produkts sicherzustellen, zum Beispiel durch präventive Wartung.

  • Advanced Services: diese gehen noch einen Schritt weiter, indem Kunden nicht mehr das physische Produkt erwerben, sondern stattdessen ein bestimmtes Ergebnis oder eine gewünschte Leistung, wie eine garantierte Hebe- und Transportleistung, über einen längeren Zeitraum hinweg erhalten. In diesem Fall kommt es oft zu einem Produkt-Service-System, bei dem das Eigentum am physischen Produkt beim Hersteller bleibt.

Anwendungsfälle dafür sind sehr vielfältig und unterliegen keinen Beschränkungen. Im Gegenteil, der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt, anbei ein paar Möglichkeiten und Beispiele:

  • Wartung und Instandhaltung: Unternehmen können vorbeugende Wartungs- und Instandhaltungsprogramme anbieten, um die Lebensdauer der Maschinen zu verlängern und die Betriebskosten für die Kunden zu reduzieren.

  • Schulungen und Support: Hersteller können Schulungen und technischen Support für ihre Kunden anbieten, um sicherzustellen, dass die Maschinen effektiv und effizient genutzt werden.

  • Upgrades und Anpassungen: Maschinenbauunternehmen können kundenspezifische Upgrades und Anpassungen ihrer Produkte anbieten, um den sich ändernden Anforderungen und Bedürfnissen ihrer Kunden gerecht zu werden.

  • Qualitätskontrolle: Zusätzlichen Nutzen können Maschinenbauer zum Beispiel auch durch eine KI basierte visuelle Inspektion oder Qualitätskontrolle anbieten, die an der Maschine durch zusätzliche Hardware angebracht ist und dem Kunden eine automatisierte Qualitätskontrolle ermöglicht. Bei unseren Silicon Valley Lernreisen haben wir dazu das Unternehmen Relimetrics kennengelernt, das genau solche Lösungen anbietet.

Für den Kunden können sich durch Servitization folgende Vorteile ergeben:

  • Kostenstruktur: Durch Servitization verwandeln sich Fixkosten in variable Kosten.

  • Risiko: Finanzielle Risiken (zum Beispiel durch Ausfall eines Gerätes) werden teilweise oder ganz auf den Lieferanten ausgelagert.

  • Betriebskosten: Oft kann der Hersteller einen effizienteren Betrieb erreichen als der Nutzer.

Nutzen durch service orientierte Geschäftsmodelle 

Diesen neuen Geschäftsmodellen bieten eine Fülle von Vorteilen:

  • Höhere Margen: In einer Studie von McKinsey & Company aus dem Jahr 2015 wurde festgestellt, dass Industrieunternehmen, die in den Bereich der Servitization expandierten, im Durchschnitt eine Umsatzrendite von 25 bis 30 % für ihre Serviceangebote erzielten. Im Vergleich dazu lag die Umsatzrendite für reine Produktverkäufe häufig im Bereich von 10 bis 15 %.

  • Höhere Kundenbindung: Durch das Angebot von Dienstleistungen können Unternehmen enger mit ihren Kunden zusammenarbeiten und langfristige Partnerschaften aufbauen, die die Kundenbindung erhöhen.

  • Differenzierung: Service ermöglicht es Unternehmen, sich von der Konkurrenz abzuheben und sich als Lösungsanbieter und nicht nur als Produktlieferant zu positionieren.

  • Stabilere Einnahmequellen: Dienstleistungen bieten in der Regel stabilere und wiederkehrende Einnahmen im Vergleich zum einmaligen Verkauf von Produkten, was zu einer besseren Vorhersehbarkeit und Planbarkeit der Einnahmen führt.

  • Erhöhte Flexibilität: Durch das Angebot von Dienstleistungen können Unternehmen auf Veränderungen im Markt reagieren und ihr Geschäftsmodell entsprechend anpassen, um weiterhin wettbewerbsfähig zu bleiben.

Praktische Beispiele:

Dazu einige praktische Beispiele und Usecases von Unternehmen, die dies bereits sehr erfolgreich umgesetzt und damit ihre Wettbewerbsfähigkeit gesichert haben:

Rolls Royce: Ein bekanntes und oft zitiertes Beispiel für die Anwendung eines Advanced Service, bietet der Triebwerkhersteller Bristol Siddeley. Dieser hat mit dem „Power-by-the Hour“-Modell bereits in den 1960er Jahren ein Servitization-Modell eingeführt. Nachdem Bristol Siddeley 1968 von Rolls Royce gekauft wurde, wurde das Konzept aufgegriffen, ausgebaut und seitdem als Service namens Total Care bis heute angeboten. Der Flugzeugbauer bezahlt lediglich für die tatsächlichen Betriebsstunden des Triebwerks.

Caterpillar: Der amerikanische Hersteller von Baumaschinen bietet seinen Kunden Dienstleistungen wie Flottenmanagement, Fernüberwachung, vorausschauende Wartung und datenbasierte Analytik an, um die Leistung und Effizienz ihrer Maschinen zu optimieren.

Kone: Der finnische Hersteller von Aufzügen und Rolltreppen bietet seinen Kunden umfassende Wartungs- und Modernisierungsdienstleistungen an, um die Lebensdauer und Leistungsfähigkeit ihrer Aufzüge und Rolltreppen zu verbessern. Darüber hinaus setzt das Unternehmen auf digitale Lösungen und vernetzte Technologien, um seine Dienstleistungen weiter zu optimieren und zu personalisieren.

Schwierigkeiten bei der Umsetzung:

Mittelständische Industrieunternehmen haben meistens ein 30-60-10 Modell: das bedeutet 30% Zahlung bei Bestellung, 60% bei Lieferung und 10% nach Abnahme, damit ist das Geschäft abgeschlossen. Bei den meisten Unternehmen ist eine Folgemodell in Form von Services aber nicht vorgesehen, was mehrere Gründe hat:

  • im Salesbereich sind die Mitarbeiter nicht darauf vorbereitet, dies bei den Kunden interessant genug zu machen.

  • Der gesamte Salescycle müsste sich ändern, vor allem aber die Mentalität im Unternehmen.

  • Unterschiedliche Kulturen, da viele dieser Unternehmen durch Produktion und Mechanik groß geworden sind, nun übernehmen immer mehr Softwareentwickler und Datenanalysten “das Kommando”, die aber völlig anders denken und handeln.

Aubslick

Die Studie "The Art of AI Maturity: Advancing from Practice to Performance" zeigt, dass erst eine kleine Gruppe von Unternehmen (12%), die "AI Achievers" genannt werden, KI bereits effektiv nutzen, um ihre Wettbewerber zu übertreffen und erzielen damit ein um 50% höheres Umsatzwachstum.

Die meisten Unternehmen (63%) sind sogenannte "AI Experimenters", die das Potential von KI noch kaum nutzen.

Ich bin davon überzeugt, dass gerade jetzt für mittelständische Unternehmen eine große Chance besteht, mit strukturierten Daten völlig neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Genau das werden wir die nächsten Wochen im Rahmen unserer Lernreise wieder tun, ich freue mich schon riesig darauf.

Executive Learning Journey,

Werner Sattlegger: “Die Kunst reifer Führung”, 2022

 

Autor: Werner Sattlegger
Founder & CEO Art of Life

Experte für digitale Entwicklungsprozesse, wo er europäische mittelständische Familien- und Industrie-unternehmen von der Komfort- in die Lernzone bringt. Leidenschaftlich gerne verbindet er Menschen und Unternehmen, liebt die Unsicherheit und das Unbekannte, vor allem bewegt ihn die Lust am Gestalten und an Entwicklung.