Bürokratiefalle: Wie Regulierungen Wachstum und Innovation ausbremsen
Regeln und Gesetze strukturieren unser Leben, geben Orientierung und ermöglichen Kontrolle. Denn ohne sie fühlen wir uns oft unsicher, denn das Unbekannte macht uns nervös. Wir lieben Kontrolle und Planung, aber wenn es zuviel wird, dann schnüren und engen sie uns ein. Das gilt nicht nur im beruflichen, sondern auch im persönlichen Umfeld.
In den vergangenen Jahren haben wir in Europa vor allem für Unternehmen eine Flut an Vorschriften geschaffen – doch nun droht genau diese Regelwut uns zu ersticken. Besonders auffällig: Es gibt einen direkten Zusammenhang zwischen Bürokratie, Innovation und Wachstum. Wie genau sich diese Dynamik auswirkt, darüber habe ich mir Gedanken gemacht.
wIE bÜROKRATIE STATTFINDET
Wenn Bürokratie eine Heimat hat, dann sind es die Korridore der Europäischen Kommission in Brüssel, wo ich auch ein paar Jahre arbeiten durfte. Hier werden Regeln geschaffen, die in den 27 Mitgliedsstaaten festlegen, wie Geschäfte zu laufen haben. Zwischen 2019 und 2024 hat die EU fast 14.000 Rechtsakte erlassen – eine gewaltige regulatorische Last, die Unternehmen zu spüren bekommen. Führungskräfte berichten zunehmend, dass sie mehr Zeit mit Formularen als mit der Anmeldung von Patenten verbringen, ESG Richtlinien oder Bewilligungsanträgen.
Dabei ist Europa nicht allein: In den USA haben sich die Bundesvorschriften von 20.000 Seiten in den 1960er Jahren auf heute über 180.000 Seiten aufgebläht. Allein die Bundesregierung verursacht jährlich 12 Milliarden Stunden Papierkram. In Deutschland ist der Wortumfang aller Gesetze um 60 Prozent seit den 1990er Jahren gestiegen.
Regulierung: Fluch oder Segen?
Regulierungen haben ihre Berechtigung. Sie sorgen dafür, dass verdorbene Lebensmittel nicht in den Handel gelangen, Finanzbetrug eingedämmt wird und Diskriminierung keine Chance hat.
Wir müssen unser Miteinander ordnen, wir brauchen Spielregeln, doch wo verläuft die Grenze zwischen sinnvoller Vorschrift und wirtschaftlicher Fessel?
Studien zeigen, dass Regulierungsdruck Unternehmen von produktiveren Aufgaben abhält. In Frankreich verbringen leitende Manager im Schnitt 20 Prozent ihrer Zeit damit, sich mit Vorschriften auseinanderzusetzen. Deutsche Unternehmen warten im Schnitt 122 Tage auf eine Betriebserlaubnis. In den Niederlanden dauert es einen Monat, um eine Einfuhrlizenz zu erhalten.
Besonders alarmierend: Unternehmen mit Innovationskraft meiden stark regulierte Märkte. Zwei Drittel des weltweiten Risikokapitals fließen in Branchen mit geringer Bürokratie wie Technologie und Dienstleistungen, während stark regulierte Sektoren wie das Gesundheitswesen und die Fertigung das Nachsehen haben.
Vor allem Finanzvorschriften steigen, wie diese Chart zeigt:
Mangelnde Produktivität in der Verwaltung
In Österreich erleben wir eine stärker werdende Kluft zwischen Unternehmertum und Verwaltung. Gerade Interessensvertretungen wie die Wirtschaftskammer liebt es, gegen die Verwaltung Stimmung zu machen und Beamte fühlen sich gleichzeitig davon bedroht oder nicht wertgeschätzt. Aber wenn man sich auf den Parameter der Produktivität fokusiert, dann scheinen diese kritischen Stimme mehr als berechtigt:
Daten aus Großbritannien legen nahe, dass die Verwalter staatlicher Sozialleistungen heute 20 Prozent weniger produktiv sind als noch Ende der 1990er Jahre.
Abgesehen vom Verteidigungssektor ist Kanadas Bundesbürokratie nicht produktiver als vor zehn Jahren, obwohl die Produktivität im privaten Sektor um 7 Prozent gestiegen ist.
In Australien ist die Produktivität in gemeinnützigen Berufen, einschließlich der öffentlichen Verwaltung, im letzten Jahrzehnt gesunken.
Einer aktuellen Studie der Europäischen Zentralbank zufolge, die sich auf die fünf größten Volkswirtschaften der Eurozone konzentrierte, „leistete der öffentliche Sektor in den letzten fünf Jahren einen negativen Beitrag zur Produktivität pro Kopf“.
Wachstum durch Deregulierung?
Länder, die mutig Deregulierung vorantreiben, verzeichnen aber gleichzeitig einen enormen wirtschaftlichen Aufschwung.
Argentinien hat unter Präsident Milei seine Dauerrezession durch Reformen beendet.
Griechenland, einst wirtschaftliches Sorgenkind, führt mittlerweile die Liste der leistungsstärksten Volkswirtschaften an.
In Estland wurden durch konsequente digitale Transformation und Steuervereinfachungen bis zu zwei Prozent des BIP eingespart.
Wie Regierungen Bürokraite abbauen
Politiker auf der ganzen Welt, sowohl auf der rechten als auch auf der linken Seite, begrüßen Deregulierung. Donald Trump hat ein „Department of Government Efficiency“ ( DOGE ) unter der Leitung des Unternehmers Elon Musk eingerichtet, um die Regierung zu verkleinern und die Bürokratie abzubauen, die damit verbundenen Methoden sind aber mehr als umstritten. Im vergangenen Jahr richtete Neuseeland ein „Ministerium für Regulierung“ ein, an das sich die Bürger mit allen „Bürokratieproblemen“ wenden können. Am 29. Januar versprach die Europäische Kommission, die Berichtspflichten für Unternehmen um 25 % und für kleine Unternehmen um 35 % zu senken.
Uns Österreich hat gerade ein Staatssekretariat für Deregulierungen eingeführt.
Was Bürokratie kostet
Diese Kosten sind enorm: Der Schweizerische Gewerbeverband sgv hat mit Hilfe der Bertelsmann-Methode die Bürokratiekosten in der Schweiz auf etwa 70 Milliarden Euro pro Jahr geschätzt. In Deutschland belaufen sich die Kosten auf rund 420 Milliarden Euro pro Jahr. Würde man die Methode auf Österreich anwenden, würde das Ergebnis bei etwa 50 Milliarden Euro pro Jahr liegen. Dies entspricht mehr als zwölf Prozent der jährlichen Wertschöpfung des Landes, die aufgrund von Bürokratie verloren geht.
Was bedeutet das für Entscheider in Unternehmen?
Warten Sie nicht auf politische Reformen, sondern setzen Sie intern auf Vereinfachung. Automatisieren Sie Compliance-Prozesse, reduzieren Sie internen Verwaltungsaufwand und nutzen Sie Künstliche Intelligenz.
So zeigen Studien, dass ein verstärkter Einsatz digitaler Tools in Unternehmen und Verwaltung das Produktivitätswachstum in den nächsten zehn Jahren um bis zu 2 % pro Jahr steigern könnte.
Eine Umfrage des Fraunhofer IAO deutet darauf hin, dass digital reifere Unternehmen produktiver sind – je höher der Digitalisierungsgrad, desto höher die Effizienz. Allerdings bleibt unklar, ob diese Umfrage statistisch signifikante Ergebnisse liefert oder belastbare Rückschlüsse zulässt.
Bürokratieabbau ist kein Selbstzweck, sondern eine Notwendigkeit für wirtschaftliches Wachstum. Politiker reden oft von Vereinfachung, tun aber wenig. Umso wichtiger ist es, dass Unternehmen proaktiv handeln.
Autor: Mag. Werner Sattlegger, CEO und Founder Art of Life
Executive Silicon Valley Learning Journey, 02. Juni - 06.Juni, 2025
Quellen:
Stanford Universität
Autor: Werner Sattlegger
Founder & CEO Art of Life
Experte für digitale Entwicklungsprozesse, wo er europäische mittelständische Familien- und Industrie-unternehmen von der Komfort- in die Lernzone bringt. Leidenschaftlich gerne verbindet er Menschen und Unternehmen, liebt die Unsicherheit und das Unbekannte, vor allem bewegt ihn die Lust am Gestalten und an Entwicklung.