Buchrezension - Im Grunde gut

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Buchrezension über das Buch von Rutger Bregman

Aktuell ist es schwer, einen ruhigen Kopf zu bewahren und Angesicht aller Unsicherheiten vertrauensvoll in die Zukunft zu blicken. Hilfreich dabei ist ein Weltbild, wie wir uns grundsätzlich als Menschen gegenseitig sehen. Persönlich bin ich überzeugter Humanist, versuche trotz aller menschlichen Abgründe zuerst das „Gute“ und dessen Entwicklungsmöglichkeiten im Menschen zu sehen, ohne mich in Sozialromantik zu verlieren. Aus diesem Grund hat mich das Buch „Im Grund gut“ von jungen Historiker Rutger Bregman berührt und möchte es gerne hier kurz vorstellen. Die Botschaft ist, wir Menschen haben nur überlebt, weil wir uns gerade in Notsituationen gegenseitig helfen und unterstützen. Auf den Punkt gebracht, die Menschen sind im Grunde gut.

Bregman widerspricht damit entschieden der weiterverbreitenden Annahme, dass die Menschen böse, schlecht und reine Egoisten sind. Er widerlegt dies mit einer Fülle an Zahlen, Beispielen und Studien, verweist auf psychologische Tests, soziologische Experimente und authentischen Berichte: "In Notsituationen kommt das Beste im Menschen zum Vorschein."

Die vielen Geschichten sind spannend, anregend und anschaulich. Bregman verbindet viele Disziplinen, unter anderem referenziert er aus der Philosophie, dort vor allem Jean-Jaques Rousseau. Erst mit der Sesshaftigkeit und mit der Herausbildung von Besitz und Reichtum hätten sich Ungleichheit und Unterdrückung unter den Menschen breitgemacht. Erst die Zivilisation habe auch das negative Selbstbild des Homo sapiens hervorgekehrt.

Im Gegensatz dazu beschreibt er das böse Menschenbild von Thomas Hobbes, der Mensch sei dem Menschen ein Wolf und jeder kämpfe gegen jeden, was sich auch über die sogenannte „Fassadentheorie“ in der Gesellschaft als Meinung breit gemacht hat, aber nicht der Realität entspricht. 

Teilweise wird das Buch regelrecht zum Krimi, vor allem bei der Antwort auf die Frage: "Was treiben Kinder, wenn sie allein sind, auf einer unbewohnten Insel?". Der englische Lehrer William Golding hatte sich 1954 mit dem Buch „Lord of the flies“ eine Geschichte ausgedacht, bei der eine Gruppe von verlorenen Buben auf einer einsamen Insel nach kurzer Zeit beginnt, sich gegenseitig zu massakrieren. Bis heute gilt Goldings Buch als Anleitung für die Grausamkeit des Homo sapiens, die Botschaft: Der Mensch, wenn auf sich alleine gestellt, ist schlecht.

Aber entspricht diese Geschichte auch dem tatsächlichen Verhalten von Kindern? 

Der Autor ist auf den Fidschi Inseln fündig geworden, mit einer wahren Begebenheit. 1977 wird eine Gruppe Jugendlicher schiffbrüchig und landen auf einer winzigen unbewohnten Insel. Bregman findet schriftliche Quellen und Überlebende, die tatsächlich dabei waren und das Ergebnis ist eindeutig: kein Krieg oder Gewalt, sondern die Kinder lebten Kooperation und  Zusammenarbeit, dadurch überlebten sie.  In der Not und Extremsituationen helfen sich Menschen. 

Der Autor ist aber auch mutig, da er die Erkenntnisse der bekanntesten sozialpsychologischen Experimente (z.B. Stanford Prison oder Milgram Experiment) widerlegt. Das macht fast sprachlos, denn er entzaubert viele psychologische in Stein gemeißelte Lehrmeinungen, auch gewonnen über andere Quellen, Zeitungsjournalismus etc., für die sich teilweise über Jahrzehnte niemand interessierte.

In einem anderen Kapitel fragt der Autor danach, warum im dritten Reich die Deutschen so voll Aufopferung gekämpft haben. Wegen ideologischer Verblendung? Nein, Kameradschaft ergeben seine Recherchen.

Der Autor nimmt den Leser mit auf eine spannende Reise, er nimmt uns mit in die Schützengräben des Ersten Weltkriegs, wo Soldaten zusammen Weihnachten feierten, die eigentlich aufeinander schießen sollten. Er erzählt von anderen Schlachtfeldern, auf denen lieber nachgeladen als gemordet wurde. Der Autor zeigt uns Gefängnisse in Norwegen, die eher wie eine Ferienidylle wirken und trotzdem besser funktionieren als die Hochsicherheitstrakte in den USA. 

Er dokumentiert völlig neuartige Schulsysteme, in denen Schüler ihre volles Potential entfalten können, ohne Zwang, Druck oder mit Gleichaltrigen zusammengepfercht zu werden. Oder er beschreibt holokratische Unternehmen an Hand eines Pflegedienstes, der auf Bullshit Jobs genauso pfeift wie auf kleinteilige Abrechnungslisten, wo dadurch hohe Leidenschaft und Motivation bei den Mitarbeiterinnen erlebbar ist. 

Die Reise des Buchs geht auf den Osterinseln weiter, dessen Zivilisation nicht wie bisher oft behauptet durch internen Kannibalismus, sondern durch externen Kolonialismus zerstört wurde. 

Der Grundgedanke, von dem alles zusammengehalten wird: Schlecht sind wir Menschen, wie oft erörtert, dann doch nicht. Selbst das Böse, wo es sich durchsetzte, braucht die Legitimation durch das Gute. Sonst funktioniert das nicht.

Dafür gibt der Autor eine sehr kluge Erklärung, warum sich das  „schlechte Menschenbild“ über Jahrhunderte durchgesetzt hat. In der Psychologie wohlbekannt ist die Negativitätsverzerrung (negativity bias), also unsere Neigung negative Aussagen, Ereignisse, Gefahren, Bedrohungen usw. unwillkürlich weit intensiver wahrzunehmen als positive. Das ist auch das Geheimnis der Massenmedien, deren Geschäftsmodell darauf basiert. Das Phänomen der Negativitätsverzerrung ist Ergebnis uralter Anpassungen, weil es im Laufe der Evolution wichtig war, gegenüber Gefahren und Bedrohungen hellwach zu sein. Auf dieser unbewussten Verzerrung baut das Buch auf und stellt dar, dass dadurch unser ganzes Menschenbild ins Negative verzerrt wir. 

In Wahrheit nämlich sind wir - bis auf punktuelle Ausnahmen - von freundlichen, hilfsbereiten und ehrlichen Menschen umgeben


Was bedeutet dies für Führungskräfte?

Wir wissen aus der Sozialpsychologie, dass in Beziehungssituation die zugrundeliegenden Weltbilder (Glaubenssätze) für die Entwicklung der Menschen entscheidend sind. Wenn ich ein humanistisches Weltbild mitbringe, dann wird sich auch der andere entsprechend positiv entwickeln. Das ist am Ende auch die gute Nachricht, vor allem in einer Zeit, die nicht gerade reich ist an positiven Nachrichten.

Aber das Wichtigste dabei: wir haben es in der Hand, wir können entscheiden, wie wir die Welt und die Menschen sehen und wie wir handeln. 

 

 
Autor: Werner SattleggerExperte für digitale Entwicklungsprozesse- wo er europäische mittelständische Familien- und Industrie-unternehmen von der Komfort- in die Lernzone bringt. Leidenschaftlich gerne verbindet er Menschen und Unternehmen, liebt di…

Autor: Werner Sattlegger

Experte für digitale Entwicklungsprozesse- wo er europäische mittelständische Familien- und Industrie-unternehmen von der Komfort- in die Lernzone bringt. Leidenschaftlich gerne verbindet er Menschen und Unternehmen, liebt die Unsicherheit und das Unbekannte, vor allem bewegt ihn die Lust am Gestalten und an Entwicklung.