Make Meaning - Sinn im Unternehmen in Krisenzeiten

„Erzwungenes wächst eine Weile, doch dann welkt es dahin.“ (Laoste)

Komplexitiäten, Pandemien oder Digitalisierungen verunsichern uns Menschen. Das Ergebnis sind Ängste, die in Polarisierungen und Radikalisierungen münden, was sehr gefährlich ist. Daher entdecken gerade viele Unternehmen die Sinnfrage oder die purposedriven Organisation, was oft nur zum Marketinggag verkommt. Darum geht es in meinem neuen Buch “Die Kunst reifer Führung” !

Die Pandemie hat uns gezeigt, wie zerbrechlich und verletzlich unsere Wirtschaft und Gesellschaft ist.  Jetzt unterscheidet sich gerade das Beliebige vom Beständigen, das Aufgesetzte vom Echten, das Künstliche vom Authentischen, das Wesentliche vom Unwesentlichen. In diesen Zeiten erkennt man Führungskräfte, die in der Lage sind, nicht nur bei Schönwetterphasen erfolgreich zu sein. Das bedeutet für den Führungsalltag weg von Power Point Ralley’s, Excel Listen und Versprechungen hin zu Tiefgang, Authentizität Vertrauen, Beziehungen und der Entwicklung von Sinn.  

Sinn im Tun

Im letzten Jahr haben (Gallup Engagement Index) 68% der MitarbeiterInnen Dienst nach Vorschrift gemacht, weil Sie keinen Sinn in ihrer Tätigkeit erfahren haben. 17 Prozent gaben an emotional an das Unternehmen gebunden zu sein, der Rest von 15 Prozent haben bereits innerlich gekündigt. Was fehlt ist Sinn, der erlebbar und erfahrbar ist, nicht als philosophische Diskussion, sondern als Grundlage für die Steuerung von Organisation in unsicheren Zeiten.

Wie kann das nun konkret gelingen und was ist dafür notwendig?

Eine kurze Geschichte der Sinnsuche

In unserem Kulturkreis was es vor allem der Arzt und Psychiater Viktor Frankl, der mit der Logotherapie in einer eigenen Therapieform die Sinnfrage erforscht und entwickelt hat. Als Überlebender in einem Konzentrationslager hat Frankl angesichts des Todes erlebt, dass das Wie ertragen werden kann, wenn man einem Warum oder Wozu auf den Grund geht. 

Die Antwort, die der leidende Mensch durch das Wie des Leidens auf die Frage nach dem Wozu des Leidens gibt, ist allemal eine wortlose Antwort; aber sie ist die einzig sinnvolle Antwort.“ (Viktor Frankl)

Frankl entwickelte im Konzentrationslager eine Sehnsucht, seine existentiellen Erfahrungen zu erforschen und der Welt weiter zu geben. Kernaussage seiner Thesen sind, dass Menschen aufgefordert sind, dem Leben Antworten zu geben und wir dem Leben bzw. Tun Sinn verleihen sollen. 

Die Logotherapie arbeitet mit Erlebniswerten, Schaffenswerten und Einstellungswerten. Vor allem die letzten beiden Werte sind im unternehmerischen Kontext von Bedeutung, da das Schaffen oder die Gestaltung nicht nur eine Quelle für Sinn, sondern auch für Freude sein kann. Und Einstellungswerte laden dazu ein, die Perspektive zu verändern, z.B. in Problemen Herausforderungen  oder in Krisen Entwicklungschancen zu sehen. Methodisch verwendet die Logotherapie Zugänge wie Dereflexion und sokratische Dialoge, letztere können vor allem im Unternehmenskontext eingesetzt werden.

Was Unternehmen jetzt von Viktor Frankl lernen können

Frankl ist in seiner Arbeit immer wieder auf das sogenannte „horror vacui“ der menschlichen Existenz gestoßen, einer inneren Leere und Angst des Menschen im täglichen Tun, wobei Sinn eine Antwort sein kann. Wenn Führungskräfte der Sinnfrage auf der Spur sind, habe ich es oft sehr abgekoppelt von der beruflichen Tätigkeit und Verantwortung erlebt. persönliche Selbstverwirklichung und Selbsterfahrungen stehen oft im Mittelpunkt, aber immer noch aus einer sicheren Komfortzone und vor allem losgelöst von der Führungstätigkeit und der unternehmerischen Verantwortung

Meiner Erfahrung nach funktioniert das aber nicht, da man die Sinnfrage und berufliches Tun gerade jetzt nicht trennen kann. Nicht nur in Krisenzeiten gehört Sinn in das Zentrum des unternehmerischen Handelns, da es die wichtigste Quelle für Gestaltungsfähigkeit und damit für Motivation ist. Nicht als Selbstzweck, weil es modern ist oder weil ich etwas erreichen will, wie zum Beispiel motiviertere MitarbeiterInnen.  Nein  - einfach, weil Leben so funktioniert. In der Natur gibt es nichts was der Erhaltung und der Weiterentwicklung des Lebens nicht dient, was nicht einen Beitrag für das höhere Ganze leistet.

Wie entwickeln erfolgreiche Unternehmen Sinn?

Erfolgreiche Unternehmen sind schnell, beweglich, innovativ, oft mit wenig Eigenressourcen ausgestattet und können so rasch agieren. Oft haben sie  disruptiv unternehmerische Dinosaurier aus der Bahn geworfen, weil sie adaptionsfähiger und beweglicher waren. Diese werden oft exponentielle Organisation genannt, sie sind auf die Zukunft ausgerichtet, beweglich, motivierend und vor allem sinnstiftend. Der Sinn findet man dort in gelebten Visionen und Missionen, oft dort auch MTP genannt - massive transformative purpose.

Nicht in Form einer Power Point Folie und plakativen Platitüden, sondern in einer tiefverankerten DNA des Unternehmens, die Seele des Unternehmens. Wo jeder Mitarbeiter Selbstwirksamkeit leben kann, jeder bringt sich Kraft seiner Fähigkeiten und Bedürfnissen ein. Diese wird ist im täglichen Miteinander innerhalb und außerhalb des Unternehmens erlebbar, ist nicht aufgesetzt, sondern tief verwurzelt.

Was ist der Beitrag der Organisation für ein für ein größeres Ganzes? 

Das ist die Frage, die sich Unternehmen stellen müssen, dadurch kann Klarheit und Orientierung entstehen, was Sinnerfahrung ermöglicht, wenn jeder in der Organisation weiß, was sein ganz individueller Beitrag ist.

Beispiele:

Disney:  Make people happy

Oxfarm: Eine gerechte Welt ohne Arbeit

TedX: Spread ideas  

Eine Vision ist ein gelebtes Bild in der Zukunft, wo wir als Organisation hin wollen, den Weg aber vielleicht noch nicht genau kennen. Die Vision hat einen positiven Sog auf die Menschen im Unternehmen (und teils außerhalb), hat aber keine konkreten  Termine und Zahlen wie langfristige Ziele.  Ein Zusammenfallen der persönlichen Ausrichtungen mit der Ausrichtung des Unternehmens sorgt dafür, dass ein Organigramm eher einem Bienenstock als einem traditionellen Unternehmen in Form einer Pyramide ähnelt.  

Sokratische und schöpferische Dialoge

Für die Entwicklung von Sinn gibt es kein Patentrezept oder einfache Ratschläge, noch kann es verordnet werden, vor allem kann es nicht an Berater oder Agenturen delegiert werden. Wie beim Zwiebelschälen wird bei einem intensiven internen Prozess der Wesenskern des Unternehmens herausgearbeitet, der aber gleichzeitig den Blick auf die Welt offen lässt. 

Führungskräfte müssen einen Raum, ein Klima oder eine Kultur schaffen, wo MitarbeiterInnen sich öffnen, sich mitteilen oder ein Dialog entstehen kann. Seit dem Physiker  David Bohm wissen wir, dass Dialoge eine schöpferische Kraft haben, wenn man sein Ego hinten anstellt, es nicht um Recht haben geht und wir die Fähigkeit des Zuhörens entwickeln.

Man erkennt einen guten Dialog daran, dass die TeilnehmerInnen verändert herausgeht, reicher an Erkenntnis oder Erfahrung. Das Wort ist Dialog ist ja nichts anderes als eine Erweiterung des Wortes Logos, der ja auch auf Basis der altgriechischen Bedeutung Sinn darstellt. 

Wenn ein solcher Raum geschaffen wurde, meistens auch geschützt, zurückgezogen und für eine gewisse Dauer, dann kann man den grundlegenden Fragen nachgehen, wie z.b.:  

  • Welches ganz konkrete Problem lösen wir in der Welt von möglichst vielen Menschen oder Organisationen?

  • Was können wir besonders gut?

  • Welchen Beitrag können wir leisten?

Es sind keine Raketenwissenschaften, sondern ganz einfache und ehrliche Fragen, die auf den Grund nicht nur jeder Existenz gehen, sondern auch von Organisationen.   

Was sind dafür die persönlichen Voraussetzungen von Führungskräften?

Persönliche Voraussetzung bei Führungskräften ist Authentizität, nicht dauernd nach Macht oder Sozialprestige zu schielen, oder sich in narzisstischer Selbstdarstellung verlieren, sondern ehrlich der Sinnfrage nachgehen wollen. Das fällt aber vielen Führungskräften noch schwer, wie eine aktuelle Studie der Universität Groningen beschreibt. In einer breit angelegten Umfrage hat sich gezeigt, dass je kompetitiver Führungskräfte Ihr Umfeld wahrnehmen, desto eher befürchten sie Machtverlust und legen dadurch verwerfliches Verhalten an den Tag. Das äußert sich etwa zum Beispiel darin, dass sie Ressourcen eigensinnig an sich reißen, ihr Team aus den Augen verlieren oder vermehrt nach Boni streben. Kompetitives Umfeld und Machtstreben bilden eine gefährliche Spirale, die der Entwicklung von Sinn systemisch entgegenwirkt.  Ebenso Top-down Hierarchien, starre Strukturen oder festgefahrene Muster. 

Wenn man als Führungskraft darüber nachdenkt, Sinn im erlebbar zu machen, gibt es immer eine große Hürde. Die einen glauben, man muss Philosoph oder Psychologe sein, die anderen meinen etwas,  das Thema sei zu schwammig und gehöre nicht in ein Unternehmen. Oder wenn ich Sinn im Unternehmen zu entwickeln, dann muss ich als Führungskraft besonders charismatisch oder viel Überzeugungskraft haben. All diese Annahmen sind aber für die Entwicklung von Sinn nicht entscheidend - um Sinn zu entwickeln, braucht keines der oben beschriebenen Dinge. 

Nein, was zählt ist ehrliches Interesse, eine gewisse Sehnsucht den Dingen auf den Grund zu gehen, vor allem aber eine innere Haltung, die einen solchen Prozess steuert. 

Die Haltung beinhaltet innere Überzeugungen, dass nicht jemand wichtiger ist wie der andere, dass „wir die Karten verteilen“, nicht Opfer sind, sondern einen Gestaltungsraum haben, den es zu entfalten gilt. Vor allem aber, dass es keine „Short Cuts“ gibt im Leben, so auch in der Entwicklung von Sinn. Es braucht nicht nur Mut und Offenheit, sondern auch Ausdauer und Geduld. 

Kann ich auch im Mittelmanagement Sinn entwickeln? Diese Frage höre ich oft, denn es wird auf den geringen eigenen Handlungsspielraum hingewiesen. Das erachte ich als faule Ausrede, auch wenn ich im Mittelmanagement in einer sogenannten Sandwichposition bin, kann ich für meinen kleinen Bereich diesen Fragen nachgehen, auch wenn ich in der Beantwortung und Umsetzung strukturell eingeschränkt bin.

Wollen Sie als Führungskraft in Zeiten der Veränderung erfolgreich bleiben, dann sind Sie aufgefordert Sinn und Zweck einer Organisation nicht nur auf einer Hochglanzfolie aufzuschreiben. Sie müssen es leben, verinnerlichen und vor allem in der Organisation verankern.

Dann können Mitarbeiter und Führungskräfte in Organisation auch in unsicheren Zeiten nicht nur Halt und Orientierung erleben, sondern auch Freude und Entwicklung.

Weiterführende Tipps:

Werner Sattlegger, “Die Kunst reifer Führung”, 2022

Viktor Frankl, “Das Leiden am sinnlosen Leben“

Training für Führungskräfte, ab März 2022

Silicon Valley Lernreise, Juni 2022

Podcast, “Die Kunst den eigenen Weg zu gehen”, Werner und Manuela Sattlegger

Online Talk mit Dieter Kalt und Werner Sattlegger “Sprung in das Ungewisse - Mit Teams erfolgreich durch die Krise”

Autor: Mag. Werner Sattlegger, Founder und CEO Art of Life

 
Werner Sattlegger Founder & CEO Art of Life

Werner Sattlegger
Founder & CEO Art of Life