Über die Kunst kluge Entscheidungen zu treffen
Wir alle haben es gerade in Zeiten der Pandemie erlebt: wenn Menschen Entscheidungen treffen oder unterschiedliche Experten zu ein und demselben Thema ein Urteil abgeben, dann gibt es oft massive Abweichungen, obwohl es sich immer um die gleiche Sache handelt. Dieses Phänomen nennt der Wirtschaftsnobelpreisträger Daniel Kahnemann „Noise“, der auch der gleichnamige Titel des eben mit seinen Co-Autoren Sibony und Sunstein erschienen neuen Buchs ist. Sie nennen die Verzerrung bei Fehlurteilen deshalb „Noise“, da der „Feind“ sehr vielschichtig ist und unterschiedliche Ursachen haben kann. Aus aktuellem Anlass ist es jetzt an der Zeit sich dieses Themas einmal näher anzusehen, um herauszufinden, wie wir bessere, vor allem klügere Urteile treffen können.
Eine Verzerrung der Entscheidungsvariabilität ist enorm, denn wenn leitende Angestellte in verschiedenen Branchen befragt werden, wie viel Variation sie bei Expertenurteilen erwarten, lag die Antwort im Durchschnitt bei 10 Prozent. Aber die Realität sieht ganz anders aus, denn die Variation bei Expertenurteilen kann vier- bis fünfmal so hoch sein, teilweise bis zu 55 Prozent vom Durchschnitt betragen. Das ist beachtlich, hängen doch von solchen Urteilen Entscheidungen mit massiven Auswirkungen ab, man denke in diesem Zusammenhang nur an Krebsdiagnosen, Lockdowns oder strafrechtliche Verurteilungen. Vor allem aber im unternehmerischen Kontext können Fehlurteile massiv negative Auswirkungen nach sich ziehen.
Für „Noise“ sorgen, so die drei Autoren des Buchs, unterschiedlichste Einflussfaktoren wie Geschmack, Vorurteile oder Persönlichkeit , aber auch Profanes wie das Wetter oder der zeitliche Abstand zum letzten Essen.
Zentrale Aussage ist: „Überall, wo Urteile getroffen werden, gibt es Noise, und zwar mehr, als man denkt.“ Wie zum Beispiel bei einer Versicherungsfirma, in der Angestellten bei der Berechnung der Prämien für identische Fälle, um 55 Prozent abweichen. Oder eine Bank, deren Kreditsachbearbeiter bei der Bewertung eines Objekts um 45 Prozent auseinanderliegen.
Was tun, um Fehleinschätzungen zu reduzieren?
Der erste Schritt zu einer Reduktion ist das Bewusstsein, dass es diese Verzerrung überhaupt gibt und auch viel Geld kostet, sowie Unsicherheiten verursacht. Denn wir Menschen haben die Tendenz, diese Verzerrungen nicht anzuerkennen.
Dann gibt es zur Fehlerminimierung ganz praktische und konkrete Schritte, wie zum Beispiel:
„reasoned rules“: begründete Regeln, die ein Team nach Debatten erstellt und auf dessen Grundlage Entscheidungen getroffen werden. Darauf basierend werden ebenso Schlussfolgerungen getroffen.
„Aggregation“: mehrere, unabhängige Urteile werden verdichtet, um so die Weisheit von vielen zu erhalten.
„Skalen“: die Verwendung gemeinsamer Skalen, um individuelle Urteile zu begründen sowie die Zerlegung komplexer Urteile in leichter verständliche Komponenten.
„Decision Hygiene“: wenn Sie keine besseren Experten bekommen können, versuchen Sie, einen Entscheidungsbeobachter zu ernennen, dessen Aufgabe es ist, „Noise“ aufzuspüren.
In der gesamten Diskussion gibt es natürlich die Ebene der Intuition und des Bauchgefühls, die im Buch „Noise“ nicht allzu viel Raum bekommen. Aber meiner Meinung ist diese Ebene neben dem kognitiven Verstand nicht zu unterschätzen und wir werden dies bald an geeigneter Stelle ausführlich behandeln.
Was aber gesichert ist, ist die Tendenz von uns Menschen sich diesen Verzerrungen und Fehlurteilen zu verschließen. Wir sehen sie oft nicht, wenn dann verleugnen wir diese, weil wir uns diese Verzerrungen einfach nicht vorstellen können. Dieses eingestehen zu können, hat vor allem auch etwas mit der Fähigkeit zu tun, sich diese bewusst zu machen, Fehler anzuerkennen, ohne Schuld und Scham. Das ist die Basis für Selbsterkenntnis und Selbstreflektion, die jede Führungskraft benötigt.
Gerade jetzt ist eine gute Zeit dies radikal zu ändern, wollen wir nicht weiter unter Fehlurteilen leiden.