Gedanken zur Weihnachtszeit
Da ist sie wieder, die Vorweihnachtszeit – die Zeit der vermeintlichen Besinnung, einer Zeit, die gerade für Führungskräfte mit viel Stress verbunden ist. Viele Dinge sind liegen geblieben und müssen noch im alten Jahr erledigt werden. Geschenke oder Christbäume wollen besorgt, Weihnachtskarten verschickt werden, und dann sind da noch die Weihnachtsfeiern. Gerade diese sind für Führungskräfte oft ein Anlass für Stress:
Wie verhalte ich mich? Worüber soll ich sprechen? Was soll ich sagen?
Was Stress sein kann, könnte aber auch ein Grund sein, um einmal dem Leben Zeit und Raum geben, um einfach einmal innezuhalten, durchzuatmen und das eigene Leben und das Miteinander Revue passieren zu lassen und vielleicht dem auf die Spur zu gehen, was das Leben auch ausmacht: Freude! Meine Gedanken dazu gerne in diesem Beitrag.
Erwartungen der MitarbeiterInnen
Egal ob im zwischenmenschlichen oder im ökonomischen Bereich, Führung ist heute oft vielen Spannungen ausgesetzt.
Insbesondere die Ansprüche der Generation Z an ihre Führungskräfte haben sich in den letzten Jahren deutlich gewandelt. Die Generation Z legt großen Wert auf bestimmte Eigenschaften bei Führungskräften (Quelle Gallup):
Wertschätzung: 78% der Frauen und 77% der Männer dieser Generation erwarten Vertrauen und Respekt von ihren Vorgesetzten.
Ehrlichkeit und offene Kommunikation: 65% der Frauen und 61% der Männer schätzen Ehrlichkeit und Transparenz in der Kommunikation.
Sich hinter dem Laptop oder geschäftiger Betriebsamkeit zu verstecken – das alleine funktioniert heute nicht mehr. Einer jährlichen Gallup-Umfrage zufolge, die seit 2002 durchgeführt wird, arbeiten über 70 % der Mitarbeiter*innen nur nach dem Prinzip "Dienst nach Vorschrift". Nur 15 % sind demnach motiviert und emotional mit dem Unternehmen verbunden. Wenn man diese Menschen fragt, nennen sie immer wieder denselben Grund: die fehlende Verbindung zur direkten Führungskraft. Vor allem bemängeln sie die mangelnde Wertschätzung.
Wir leben in unsicheren Zeiten, in denen Führungskräfte besonders gefragt sind, Orientierung zu geben – auch wenn dies aufgrund instabiler externer Faktoren eine Herausforderung darstellt. Orientierung basiert heute aber weniger auf Zahlen und Fakten, sondern vielmehr auf menschlichen Fähigkeiten wie Authentizität, Vertrauen und Empathie.
In einer unsicheren Welt werden Zahlen immer weniger Orientierung geben, es werden die menschlichen Beziehungen sein, die den Unterschied ausmachen. Das noch vielmehr, wenn Künstliche Intelligenz die nächsten Jahre in Unternehmen einziehen wird. Laut einer McKinsey-Studie planen 60 % der Unternehmen, ihre Investitionen in KI bis 2025 zu verdoppeln. Viele Mitarbeitterinnen haben Angst vor diesen so fundamentalen Innovationen, die vielleicht den eigenen Job verändern werden.
Eines ist sicher, wir leben in Zeiten eines fundamenatelen Strukturwandels, der vor allem eines bedeutet - Veränderung. Viele setzen diese Veränderungen aber mit Schwierigkeiten gleich, was nicht unbedingt der Fall sein muss.
“Durch das Rauhe zu den Sternen”
Ich persönlich habe Veränderungen oder “vermeintlich schwierige Zeiten”oft als Katalysatoren für Wachstum und Entwicklung gesehen. Ad astra per aspera (Durch das Raue zu den Sternen) ist mittlerweile zu einem meiner Lieblingsmottos geworden.
In meinem Leben habe ich viele Herausforderungen erlebt, und ich habe es mir beruflich nie leicht gemacht. Ich bin immer oft dorthin gegangen, wo noch niemand zuvor war – in unsichere, unklare Gefilde. Doch diese Entscheidungen haben mich stets mit etwas belohnt, das unbezahlbar ist: Selbstwirksamkeit. Das soll weder banal noch abgedroschen klingen – es ist einfach meine Erfahrung, weil ich etwas gemacht habe, wovor ich mich lange gedrückt habe: Verantwortung für mein Tun übernommen.
Wenn ich ein solches Leben führe, das auch oft sehr anstrengend, nicht leicht oder sonstwas ist, dann stellt sich für mich aber noch etwas anderes ein: ein Gefühl der Dankbarkeit und Freude. Wenn ich so gerade in der Vorweihnachtszeit mich in Gesellschaften bewege, oder mit Menschen spreche, nehme ich sehr selten diese Freude wahr, auch wenn wir statistisch in einer der Besten aller Zeiten leben.
Was Freude ist
Das Wort „Freude“ stammt aus dem Althochdeutschen „frewa“ oder „freude“ und bedeutet ursprünglich „frohes Empfinden“. Es ist verwandt mit dem altenglischen „freo“ (frei) und dem altnordischen „frjá“ (lieben). Die linguistischen Wurzeln deuten darauf hin, dass Freude ursprünglich eng mit Freiheit verbunden war.
Die sprachliche Verbindung zwischen Freude und Freiheit legt nahe, dass wahre Freude ein innerer Zustand ist, der aus dem Gefühl der Eigentändigkeit und Eigenverantwortung entsteht.
Einem Gefühl, das sich genau bei mir eingestellt hat, als ich begonnen hatte eigenbestimmt zu leben. Dies hat für mich bedeutet Verantwortung zu übernehmen für mein Leben und meine Handlungen, vor allem für dessen Konsequenzen. Auch ich habe meine Rahmenbedingungen, Strukturen und Regeln, ich habe nur gelernt, dass ich viel mehr Wahlmöglichkeiten habe, als ich je zu träumen wagte.
Es sind diese kleinen und großen Entscheidungen, entweder Ja oder Nein zu sagen, nicht in der Beliebigkeit oder Unbestimmtheit hängen zu bleiben. Neben diesen kleinen Entscheidungen gibt es darüber hinaus dieses große Ja, das Ja zum Leben, das einem große Freude bringen kann.
Der große Philosoph Nietzsche beschreibt die Freude als ein Ergebnis auf ein„Ja-Sagen zum Leben“ in all seinen Facetten. Freude ist hier keine flüchtige Emotion, sondern das Ergebnis von innerer Selbstbestimmung und der Akzeptanz des Daseins, genauso erlebe ich es auch.
Freude ist dann eine tiefe, ehrliche Resonanz auf das Leben, ein Moment, in dem wir uns selbst begegnen.
Unterschied zum Glückund spaß
Während Freude oft mit Glück gleichgesetzt wird, ist sie doch subtil anders. Glück wird häufig durch äußere Umstände definiert – Erfolg, Besitz, Beziehungen. Spaß sind diese flüchtigen Gegenheiten, die vor allem von außen stark stimmuliert werden. Der äußere Reis wie das neue Auto, die Weltreise oder irgendeinen Luxusartikel, die vergänglich sind, nach einiger Zeit abstumpfen und austauschbar sind.
Freude hingegen kommt aus einer inneren Tiefe und ist nicht so sehr von äußeren Reizen abhängig. Freude entsteht in einer Bejahung zum Leben, in alltäglichen Dingen, im scheinbar Banalen:
dem Lachen eines Kindes, einem Sonnenaufgang oder dem Klang eines vertrauten Liedes.
„Es gibt kein Maß für die kleinen Freuden, und sie sind wie Sterne auf einer weiten Fläche. Sie sind unser tägliches Brot.“ (Rilke)
Ebenso beschreibt es der Philosoph Schopenhauer
„In solchen Momenten wird der Wille ausgeschaltet, und wir erleben eine heitere, schmerzfreie und losgelöste Betrachtung der Welt.“ Hier wird Freude zu einem Zustand der inneren Ruhe und des Staunens, der nicht durch äußere Umstände, sondern durch innere Freiheit erreicht wird.
Ein weiterer Bereich, in dem Schopenhauer Freude thematisiert, ist der zwischenmenschliche Umgang. Wenn wir anderen helfen, das Leid zu verringern, erfahren wir eine tiefere, moralische Freude, die aus der Verbindung mit dem anderen entsteht.
„Die wahre Moral entspringt aus dem Mitleid und führt zu einer Freude, die nicht eigennützig ist, sondern aus der Befreiung des anderen resultiert.“ Es sind vor allem die zwischenmenschlichen Kontakte, nicht so sehr in einer Spaßgesellschaft, sondern in einer gewissen Tiefe und Reife.
das was wirklich wichtig ist
Ein Teil meiner tiefen Bejahung des Lebens und der unfassbaren Freude, die ich heute oft empfinde, entsteht aus Priorisierung in meinem Leben. Gerade in den letzten Jahren ist mir die Endlichkeit des Lebens unglaublich bewusst geworden: Wir alle haben ein Ablaufdatum. Wir werden geboren, und wir werden sterben. Diese Erkenntnis zeigt mir, wie kostbar das Leben ist und dass ich vor allem nicht ewig Zeit habe, die Dinge zu tun, die mir wichtig sind.
„Der Mensch hat zwei Leben, und das zweite beginnt, wenn er erkennt, dass er nur eines hat.“ – (Konfuzius)
Das erste Leben führt uns oft unbewusst durch Routine, Ablenkung und das Streben nach kurzfristigen Zielen. Wir leben, ohne uns der Endlichkeit unseres Daseins wirklich bewusst zu sein.
Doch die zentrale Wende in meinem Leben kam mit der Einsicht, dass das Leben endlich ist. Diese Erkenntnis war wie ein Weckruf, der meine Prioritäten dramatisch veränderte. Mit dem Bewusstsein der Begrenztheit habe ich begonnen viel bewusster als der Mensch zu leben.
Das WESENTLICHE BERÜHREN
“Ich habe meine Jahre gezählt und festgestellt,
dass ich weniger Zeit habe zu leben, als ich bisher gelebt habe.
Ich fühle mich wie das Kind, das eine Schachtel Bonbons gewonnen hat:
die ersten isst es mit Vergnügen,
aber als es merkt, dass nur noch wenige übrig sind,
begann es, sie wirklich zu genießen.
Ich habe keine Zeit mehr für endlose Konferenzen,
bei denen Statuten, Regeln, Verfahren und interne Vorschriften diskutiert werden,
wohl wissend, dass nichts erreicht wird.
Ich habe keine Zeit mehr, absurde Menschen zu ertragen,
die trotz ihres chronologischen Alters nicht gewachsen sind.
Ich habe keine Zeit mehr, mit Mittelmäßigkeiten zu kämpfen.
Ich will nicht in Meetings sein, wo aufgeblasene Egos aufmarschieren.
Ich toleriere keine Manipulatoren und Opportunisten.
Mich stören Neider, die versuchen, die Fähigsten zu diskreditieren,
um sich ihrer Position, ihres Talents und ihrer Leistungen zu bemächtigen.
Meine Zeit ist zu kurz, um Überschriften zu diskutieren.
Ich will die Essenz, meine Seele hat es eilig.
Ich habe keine Bonbons mehr in der Schachtel.
Ich möchte mit Menschen leben, die sehr menschlich sind.
Menschen, die über ihre Fehler lachen können, die sich nichts auf ihre Erfolge einbilden.
Die sich nicht vorzeitig berufen fühlen, die nicht vor ihrer Verantwortung fliehen,
die die menschliche Würde verteidigen.
Die nur an der Seite der Wahrheit und Rechtschaffenheit gehen wollen.
Das Wesentliche ist das, was das Leben lohnenswert macht.
Ich möchte mich mit Menschen umgeben, die es verstehen, die Herzen anderer zu berühren.
Menschen, die durch die harten Stöße des Lebens gelernt haben, sanft mit den Wunden der Seele umzugehen.
Ja, ich habe es eilig, mit Menschen glücklich zu sein, die das Wesentliche berühren können.
Die Bonbons, die mir noch bleiben, sind kostbar.
Ich möchte die verbleibenden Tage so verbringen, dass sie mehr Frieden und Liebe bringen.
Mein Ziel ist, am Ende zufrieden zu sein, dass es sich gelohnt hat.” (Mario Andrade”
Die Metapher der Schachtel Bonbons verdeutlicht für mich sehr eindringlich, dass das Leben wie ein begrenzter Vorrat an Süßigkeiten ist: Je weniger übrig sind, desto mehr schätzt man jeden einzelnen Moment.
Leere Diskussionen, egozentrische Menschen, Mittelmäßigkeit oder Oberflächlichkeiten,all das interessiert mich nicht mehr, vor allem sind es oft Energie und Zeitfresser. Und sie halten uns davon ab uns mit den wichtigen Fragen zu beschäftigen?
Was im Leben und in der Arbeit ist mir wirklich wichtig?
Mit wem möchte ich Zeit verbringen?
Wie kann ich meine Potentiale und Fähigkeiten entfalten?
Für was brenne ich noch, was entfacht in mir eine Leidenschaft?
Was bedeutet das für Führungskräfte?
Führungskräfte sind weder funktionierende Ausführungsautomaten noch Maschinen, sondern Menschen.
Menschen mit Bedürfnissen, Interessen, Leidenschaften, Fähigkeiten und Ängsten – genau das macht uns erst zu Menschen.
Organisationen sind weder Familien noch zwingend Orte, an denen Freundschaften entstehen müssen. Aber eines sollten sie auf jeden Fall sein: Orte, an denen Potenziale und Leidenschaften Raum bekommen. Dies gelingt vor allem dann, wenn wir uns selbst wieder mehr als Menschen zeigen und uns mit den wichtigen Fragen des Lebens auseinandersetzen. Wenn das geschieht, brauchen wir keine Motivationsreden oder NLP-Strategien, um Mitarbeitende zu manipulieren.
Wenn Weihnachtsfeiern zu einem Ort werden, an dem wir uns ein wenig als Menschen zeigen, dann müssen wir uns keine Sorgen darüber machen, was wir sagen sollen oder welche Rede wir halten müssen. Stattdessen könnten wir uns fragen, was uns wirklich wichtig ist, und bereit sein, etwas Persönliches von uns preiszugeben. Uns als Menschen zu zeigen – mehr braucht es nicht. Genau das wird jetzt den Unterschied machen.
Gerade zu Weihnachten ist die Zeit dafür besonders geeignet.
Autor: Werner Sattlegger, Founder der Art of Life
Events:
Executive Silicon Valley Learning Journey, 02. Juni - 06.Juni, 2025
Experte für digitale Entwicklungsprozesse, wo er europäische mittelständische Familien- und Industrie-unternehmen von der Komfort- in die Lernzone bringt. Leidenschaftlich gerne verbindet er Menschen und Unternehmen, liebt die Unsicherheit und das Unbekannte, vor allem bewegt ihn die Lust am Gestalten und an Entwicklung.