Was mich zum Jahreswechsel bewegt

Stress da und dort, schnell das oder jenes zu erledigen, die Vorweihnachtszeit verfliegt wie immer wie im Flug und nun sie sie endlich da, die Weihnachtsferien. Skifahren, Lebkuchen backen, mit dem Sohn spielen oder einfach nur faul neben dem Weihnachtsbaum auf der Coach liegen und Harry Potter schauen. Wenn da nicht schon wieder der Jahreswechsel ist, wo es ja gilt schnell noch neue Ziele und Vorsätze zu definieren, Bilanz zu ziehen oder sonstige Vorhaben noch schnell manifestieren.

Das alles mache ich heute nicht, denn mich bewegen gerade Dinge, die alle von uns angehen.

Scheinheiligkeit

Mich bewegt gerade die Tatsache, dass wir vor allem in Österreich noch immer in einer Zeit leben, wo man mit Blenden und Täuschen es bis an die Spitze der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Anerkennungspyramide schafft. Die Insolvenzen der diversen Signa Unternehmen machen mich wütend und fassungslos, so viele haben mitgemacht, solange noch die Musik auf der Party gespielt hat. Medien, Politik, Investoren oder Dienstleister, kaum jemand traute sich genauer hinzusehen oder kritische Fragen zu stellen, Glanz und Glorie waren wichtiger als kritische Vernunft. Sich anbiedern, dabei sein zu wollen im Scheinwerferlicht, vor allem nichts versäumen, wenn es um gute und satte Gewinne geht.

Den Preis zahlen nun wir alle, die Steuerzahler, die kleinen Lieferanten oder sonstige Gläubiger.

So oft haben wir das schon erlebt, egal ob bei Y Line oder Hype Alpe Adria Bank, immer das gleiche Muster. Wir lieben Wunderkinder in Österreich, sei es ein Sebastian Kurz, Karl-Hein Grasser oder Rene Benko, die aus nichts ganz oben landen. Vielleicht ist es unser mangelnde Selbswert, dass wir immer wieder auf solche Leute hineinfallen und offensichtlich auf diese unser eigenes Unvermögen projizieren, was nicht selten in einer Hybris mündet.

  • Tatsache bleibt, dass wir in Österreich neben dem Wirecard Desaster nun mit der Signa Pleite innerhalb von 2 Jahren dem Image unseres Wirtschaftsstandortes großen Schaden zugefügt haben.

UNGerechtigkeit

Mich bewegt, dass wir noch immer in einer Gesellschaft leben, wo die angeblich wichtigsten Stützen unserer Gesellschaft – so haben wir es in der Pandemie genannt - wie Pflegepersonal, Handelsangestellten, Pädagogen oder Lieferdienste noch immer keine echte Wertschätzung erfahren. Sei es über den Gehalt oder aber über soziale Anerkennung, unsere Gesellschaft behandelt diese Menschen schlecht, obwohl wir ohne sie nicht leben könnten.

  • Gleichzeitig erhalten Vorstände in staatsnahen Betrieben Millionengagen, Erbschaften sind heute noch immer von der Steuer befreit und ist es kein Wunder, dass nach einer  Studie der Nationalbank (OeNB) das reichste ein Prozent nicht auf rund 25 Prozent – wie bisher angenommen - sondern auf bis zu 50 Prozent des Gesamtvermögens kommen könnte.

Diskriminierung

Mich bewegt, dass bis zum heutigen Tage Menschen auf Grund ihres Geschlechts diskriminiert werden, was vor allem für Schlechterstellung von Frauen gilt, die noch immer nur auf Grund Ihres Geschlechts weniger verdienen, was im sogenannten Gender Pay Gap berechnet wird:

  • So lag der durchschnittliche Gender Pay Gap in der EU-27 bei etwa 14,1 %, was bedeutet, dass Frauen im Durchschnitt 14,1 % weniger als Männer verdienten.

  • Der Gender Pay Gap in Österreich liegt aktuell bei 12,7 Prozent. Wenn auch Teilzeit-Kräfte in die Statistik miteinbezogen werden, verdienen Frauen um 35 Prozent weniger als Männer.

  • Umgerechnet heißt das: Frauen arbeiten 46 Kalendertage im Jahr unbezahlt – oder jedes ganze achte Jahr.

Vermögensverteilung

Mich bewegt die immer größer werdende Schere zwischen arm und reich, die vor allem seit der Inflation vor allem die Ärmeren betrifft. Der Gini-Index oder Gini-Koeffizient ist ein statistisches Maß, das zur Darstellung von Ungleichverteilungen verwendet wird. Er kann einen beliebigen Wert zwischen 0 und 100 Punkten annehmen und zeigt die Abweichung der Verteilung des Vermögens auf Personen oder Haushalte innerhalb eines Landes von einer vollkommen gleichen Verteilung. Ein Wert von 0 bedeutet absolute Gleichheit, ein Wert von 100 absolute Ungleichheit:

  • Im Jahr 2022 lag der vermögensbezogene Gini-Index für Österreich geschätzt bei 76,1 Punkten. Damit stieg die Vermögensungleichheit zum zweiten Jahr in Folge.

  • Laut Statistik Austria sind binnen eines Jahres 40.000 Menschen mehr in die handfeste Armut gestürzt. Das ist eine mittlere österreichische Stadt: etwa Steyr, Bregenz oder Wiener Neustadt. Und 1,5 Millionen in Österreich sind in akuter Gefahr, auch in die Armut abzurutschen. Jeder Fünfte davon ist ein Kind.

  • Es ist überhaupt nicht einzusehen, dass die aktuellen Erhöhungen wie z.B, der Pension oder Zuschüsse in Form des Klimabonuses völlig losgelöst vom aktuellen Einkommen ist.

Was sind die Folgen?

Ich möchte nun nicht in die dogmatische und populistische Diskussionen einsteigen, links gegen rechts, arm gegen reich, richtig oder falsch. Wir können außer Streit stellen, dass es Ungerechtigkeiten gibt, die hat es immer schon gegeben und wird es auch immer geben, davon bin ich überzeugt. Und wir leben trotz dieser Entwicklungen noch immer in einer der besten Welten, die es je gab, denn:

  • Wir werden noch nie so alt, können noch nie so viele Krankheiten heilen oder haben in Europa noch nie eine so lange Zeit ohne Krieg erlebt, wie jetzt.

Aber wenn wir einen Blick auf die Geschichte werfen, dann sieht man, dass große Ungerechtigkeiten und Diskriminierungen auf Dauer immer die Ursachen für soziale Unruhen, Plünderungen oder Krieg waren. So weit sind wir zwar noch nicht, aber wir müssen uns als Gesellschaft überlegen, wie wir zusammenleben wollen, welchen Wert wir welcher Arbeit und Menschen gehen, wie wir unsere Ressourcen verteilen, wie zum Beispiel:

  • Wie besteuern wir Arbeit im Vergleich zu Vermögen?

  • Sind unsere Ressourcen gerecht verteilt?

  • Wie gehen wir mit dem demografischen Wandel um?

  • Wie lösen wir die Probleme des Fachkräftewandels und notwendiger Pensionsreform?

  • Warum werden bei uns Blender und Täuscher noch immer so lange hofiert?

  • Wann geben wir den Stützen unserer Gesellschaft endlich die Anerkennung, die sie verdienen?

  • Wie können wir in unserer Politik wieder Vertrauen und Glaubwürdigkeit herstellen?

  • Wann ersetzen wir Scheinheiligkeit und Populismus durch Authentizität?

Arbeit und Leistung müssen wieder einen Wert haben, das höre ich immer wieder, aber wenn ich mir die Zahlen ansehen, dann fehlt mir der Glaube. Das ist was mich gerade bewegt, Patenrezepte habe ich keine, aber den dringenden Wunsch, dass sich mehr Menschen in Verantwortungspositionen diesen Fragen stellen, ganz im Sinn vom großartigen Rainer Maria Rilke “Die Fragen lieb haben”:

“Man muss den Dingen  die eigene, stille  ungestörte Entwicklung lassen,  die tief von innen kommt und durch nichts gedrängt  oder beschleunigt werden kann,  alles ist austragen – und  dann gebären…

Reifen wie der Baum, der seine Säfte nicht drängt  und getrost in den Stürmen des Frühlings steht, ohne Angst, dass dahinter kein Sommer kommen könnte.  Er kommt doch!

Aber er kommt nur zu den Geduldigen,  die da sind, als ob die Ewigkeit vor ihnen läge,  so sorglos, still und weit… Man muss Geduld haben  Mit dem Ungelösten im Herzen,  und versuchen, die Fragen selber lieb zu haben,  wie verschlossene Stuben,  und wie Bücher, die in einer sehr fremden Sprache  geschrieben sind.

Es handelt sich darum, alles zu leben.

Wenn man die Fragen lebt, lebt man vielleicht allmählich,  ohne es zu merken,  eines fremden Tages  in die Antworten hinein”

Ein wunderbares 2024 und das wir uns viel mehr und länger die richtigen Fragen stellen.

Autor: Werner Sattlegger, Founder Art of Life

Veranstaltungstip: Nächste Lernreise ins Silion Valley, 04. Juni - 07. Juni, 2024.

Werner Sattlegger: “Die Kunst reifer Führung”, 2022

Podcast Folge #32: Mut zum Handeln:

 

Autor: Werner Sattlegger
Founder & CEO Art of Life

Experte für digitale Entwicklungsprozesse, wo er europäische mittelständische Familien- und Industrie-unternehmen von der Komfort- in die Lernzone bringt. Leidenschaftlich gerne verbindet er Menschen und Unternehmen, liebt die Unsicherheit und das Unbekannte, vor allem bewegt ihn die Lust am Gestalten und an Entwicklung.