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Evolve Well

Im zweiten Jahr der Pandemie schießen die Technologieinvestments durch die Decke, der Zug in Richtung Künstliche Intelligenz fährt gerade ab. Es gibt da und dort Gewinner und Verlierer, Unsicherheiten lauern mit neuen Mutationen. Die Lage bleibt fragil und der entscheidende Faktor für Erfolg in Zukunft wird sein, wie wir uns mit kommenden Herausforderungen weiterentwickeln. Im Sinne von wachsen, reifen und lernen, das ist auch um was es in Organisationen geht.

Ich erlebe die meisten Führungskräfte oder Eigentümer als “Antreiber”, dass sie immer Energie in das System geben müssen, damit Entwicklung angestoßen wird. Das ist aber auf Dauer nicht nur anstrengend, sondern nicht sinnvoll. Entwicklung ist uns angelegt, Führungskräfte müssen dafür den Rahmen schaffen.

Die Pandemie als Black Swan 

Der Wirtschaftswissenschafter Nicolas Taleb war über 2 Jahrzehnte Börsentrader und hat seine Erfahrungen aus dem Optionshandel in seiner „Black Swan Theorie“ eingearbeitet. Die Reaktionen von Wertpapieren auf externe Ereignisse scheinen dem ähnlich sein,  wie Gesellschaft, Organisationen oder überhaupt Menschen auf externe unerwartete Ereignisse reagieren. Im Grunde gibt es nach dieser Theorie drei grundsätzlich verschiedene Reaktionsmuster oder Zustände, wie wir auf externe unerwartete Ereignisse reagieren:  fragil, robust und antifragil

„Fragil“ ist ein Produkt, ein Mensch oder ein soziales System, wenn es bei großer Beanspruchung oder Belastung in Mitleidenschaft gezogen wird, durch Benutzung verschleißt oder sogar untergeht. Fragil hasst Unordnung, Unsicherheit oder Unvorhersehbarkeiten. Zum Beispiel mag eine Teetasse keine Erdbeben, da es mit ziemlicher Sicherheit daran zerbricht. 

Dagegen ist „Robust“ eine Eigenschaft, die durch externe Schocks oder Ereignisse unbeeinflusst bleibt. Zum Beispiel wird einem Felsen ein Erdbeben ziemlich egal sein, da es daran nicht zerbricht. Wenn wir uns aber als Menschen oder soziale System weiterentwickeln wollen, sind beide Eigenschaften nicht brauchbar.  

Antifragilität als Schlüssel für Entwicklung

Die entscheidende Fähigkeit für Entwicklung ist „Antifragilität“, das etwas anderes als „Robust“ oder „Fragil“ ist. Antifragil ist, was durch Belastungen, Beanspruchung oder Zufälle gestärkt oder verbessert wird. Antifragilität mag Zufälle oder Fehler, da dadurch Entwicklung möglich wird.

Menschen oder soziale Systeme machen ebenso diese Erfahrung -  Schwierigkeiten oder Herausforderungen können das Adrenalin, die Aufmerksamkeit und Konzentration steigern.  Dadurch können wir besser werden, was zu besseren Ergebnissen als routinemäßige Erledigung führt.  In der sogenannten „Flowforschung“ wurde dies ebenso bei Sportlern, Musikern oder Ärzten untersucht – Spitzenleistung findet in der „Zone“ statt. Das ist jener Ort, wo die Tätigkeiten die eigenen Fähigkeiten ein wenig übersteigen und wir gefordert werden, nicht zu viel und nicht zu wenig. 

Überall können wir das gleiche Phänomen beobachten, wie zum Beispiel in der Natur: Muskel und Knochenbelastungen erhöhen die Stärke und Kräftigung von beiden. Was nicht einer gesunden Belastung ausgesetzt ist, schwächt sich dauerhaft. 

Individuation als Entwicklungsprozess

In der Persönlichkeitsentwicklung hat C.G. Jung den Begriff des „Wandeln und Werdens“ geprägt, menschliche Entwicklung verläuft nie gerade oder ist planbar, vor allem findet sie in schwierigen Situation statt.  Wenn wir bereit sind zu lernen, zu reflektieren und uns auf einen Prozess einzulassen.  

Individuation (individuare, „unteilbar/untrennbar machen“) beschreibt den Werdegang eines Individuums das sich vervollständigt und dabei eigene Fähigkeiten, Anlagen und Möglichkeiten entwickelt. Ziel des Prozesses ist eine schrittweise Bewusstwerdung, um sich dadurch als etwas Eigenes und Einmaliges zu erkennen und zu verwirklichen (Ich-Werdung und Selbst-Werdung).

Nach C.G. Jung[1] bedeutet Individuation, „zum Einzelwesen zu werden  und insofern wir unter Individualität unsere innerste, letzte und unvergleichbare Einzigartigkeit verstehen, zum eigenen Selbst zu werden. Man könnte „Individuation“ darum auch als Verselbstung oder als Selbstverwirklichung übersetzen“ 

Herausforderungen sind immer Entwicklungschancen

Auf dem Weg seiner Individuation sei nach C.G. Jung der Mensch immer wieder gefordert, sich aktiv den neu auftauchenden Herausforderungen zu stellen und seine Entscheidungen vor sich selbst zu verantworten. Individuation bedeutet, sich nicht danach zu richten, „was man sollte“ oder „was im allgemeinen richtig wäre“, sondern in sich hinein zu horchen, um herauszufinden, was die innere Ganzheit (das Selbst) jetzt hier in dieser Situation „von mir oder durch mich“ bewirken will.

Wichtig dabei ist, dass Individuation und Selbstwerdung ein lebenslanges, unvollendbarer Prozess mit einer stetigen Annäherung an ein „fernes Ziel“, das Selbst, ist – mit dem Tod als die Grenze. Und meistens werden diese Entwicklungsprozesse in Krisenzeiten angestoßen.

Was können Führungskräfte tun ?

Entwicklung ist in uns angelegt, aber wird sehr selten durch Einsicht angestoßen oft eher durch Krisen. Führungskräfte sollten vor allem in monetär erfolgreichen Zeiten dafür Sorge tragen, dass Entwicklung nicht durch Überheblichkeit und Arroganz ersetzt wird. Entwicklung muss im Zentrum der Organisationsabläufe und im Herzen der Unternehmenskultur jeden Tag gelebt werden. Das kann durch einen Organisationsrahmen sichergestellt werden, der Entwicklung. Leistung, Lernen, Beitrag, Ideen, Scheitern oder vieles mehr fördert und am besten dort anfängt, was alles beginnt - bei der Unternehmensleitung. Nur wenn dies dort gelebt wird, kann dies im Organisationsalltag Eingang finden.

Krisen und schwierige Zeiten sind nicht nur Phasen “um durch zu tauchen” um dann wieder zurückzukehren zur Normalität – Nein, ganz im Gegenteil. Gerade erst Krisen können ein Turbo für Entwicklung sein, in herausfordernden Zeiten liegt oft der Keim für zukünftiges Wachstum. Aber wir müssen nicht auf Krisen warten , um uns zu entwickeln.

Denn letztlich ist es nicht nur in uns angelegt, sondern sogar unser Lebensauftrag.

Buchtips:

C.G.Jung, “Der Mensch und seine Symbole”

Nassim Taleb, “Der schwarze Schwan”

Sattlegger/Neidhöfer “Wenn die Sehnsucht über die Angst hinauswächst”

 

[1] Carl Gustav Jung (1875 - 1961), meist kurz C. G. Jung genannt, war ein Schweizer Psychiater und Gründer der analytischen Psychologie. 

 

Autor
Werner Sattlegger

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