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Wie toxische Führung New Work verhindert

Neue Formen der Arbeit wie New Work werden heute schon in fast jedem Managementartikel erwähnt, BeraterInnen bedienen Buzzwords und MitarbeiterInnen und Führungskräfte mühen sich in Agilitätsworkshops mit bunten Zetteln ab. 

Trotzdem scheinen die Mühen oft vergeblich, das Aufbrechen starrer Strukturen scheitert oft an den Machterhaltungsstrategien bestehender Führungsetagen. Vor allem scheint die Führungskultur aktuell nicht nur fragwürdig zu sein, sondern notwendige Transformation zu verhindern und Schaden anzurichten.  Das bestätigt das Ergebnis einer brandaktuellen Umfrage[1]: in 85 % der deutschen Unternehmen wird ein krankmachendes „toxisches Führungsverhalten“ von MitarbeiterInnen wahrgenommen, in jedem fünften Unternehmen gibt es sogar ein "ausgesprochen toxisches" Führungsklima. In nur 18 der untersuchten Unternehmen gab es keine Hinweise auf toxisches Verhalten von Führungskräften.


Was sind die Ursachen?

Der Begriff eines“ toxisches Führungsverhaltens“ fand in den letzten Jahren Eingang in die Managementliteratur und wurde mit dem Begriff  "Abusive Supervision" vom amerikanischen Autor Bennett J. Teppert[2] in die wissenschaftliche Debatte eingebracht. In dem sehr beachteten Artikel im Jahr 2000 beschreibt er diesen Begriff, als ein feindselig und aggressiv wahrgenommenes Führungsverhalten, das verbal oder nonverbal erfolgen kann. 

Dieses destruktive Verhalten der Führungskräfte hat nach dieser Studie fatale Auswirkungen auf die MitarbeiterInnen (Unzufriedenheit, Frustration, emotionaler Stress, verminderter Arbeitsleistung bis hin zu psychischen Krankheiten). Aber nicht nur das Arbeitsklima wird belastet, auch die Unternehmensperformance leidet enorm und schadet dem wirtschaftlichem Ergebnis enorm.

Bei der Ursachenforschung stößt man sehr bald auf den Begriff des Narzissmus[3], der in den letzten Jahren in einigen Publikationen mit steigenden wissenschaftlich Interesse auch in Führungspositionen untersucht wurde, etymologisch und psychologisch aber schon ein sehr alter Begriff ist: „Der Jüngling Narziss entzog sich der Liebe der Nymphe Echo und als Strafe musste er immerfort selbstverliebt sein Spiegelbild im Wasser betrachten. Narziss was in das Spiegelbild derart verliebt, dass er immer mehr davon haben wollte. Plötzlich erkannte er, dass er nur in sein Spiegelbild verliebt war. In dem Augenblick erschrak er und verwandelte sich in eine Narzisse.“ 

Diese aus der griechischen Mythologie stammende Geschichte beschreibt die psychischen Vorgänge, welche die Konzentration des seelisches Interesses auf das eigene Selbst fokussiert. Der Narzissmus hat nicht nur viele verschiedene Erscheinungsformen, sondern auch eine gesunde Seite in Form des sogenannten „primären Narzissmus“ [4]

Im Gegensatz dazu zeigt sich die destruktive Seite vor allem in Beziehungen, wenn diese manipuliert und funktionalisiert werden, um das eigene Selbstwertgefühl zu stabilisieren und zu erhöhen. Gerade in Führungspositionen kommt es dann zu einem übersteigerten Bedürfnis nach Anerkennung und Überlegenheit, das ständig und immer aufs Neue zu befriedigen gesucht wird, bei gleichzeitigen massiven Minderwertigkeitsgefühlen. Der Narzisst[5] versucht diese Minderwertigkeitsgefühle durch zur Schau getragene Arroganz und Selbstgefälligkeit, sowie herablassender Verhaltensweisen zu kompensieren. Der Narzisst scheint für sich dann erfolgreich zu sein, wenn er sich selbst erhöht und gleichzeitig andere herabsetzt oder verletzt.


Auswirkungen toxischer Führung 

Jede Führungssituation ist vor allem eine Beziehungssituation, in der die Mechanismen des Narzissmus zum Tragen kommen und großen Schaden anrichten. Diese toxische narzisstische Verhaltensweisen sind: 

  • Überempfindlichkeit

Narzissten sind immer leicht gekränkt, umgeben sich mit Jasagern und angepassten Schleimern, vor allem meiden sie andere Meinungen oder Kritik. Oft erkennt man es an einem „chronischem Beleidigtseins“, der subtil aber sehr effektiv emotionale Gewalt ausgeübt, denn der andere fühlt Schuld und Scham. Jeglicher Widerspruch wird im Keim erstickt, was natürlich für eine Innovationskultur fatal ist. New Work lebt von der “Andersartigkeit” oder den kritischen „Narren“ mit differenzierten Meinungen. 

Narzissten konzentrieren sich nur auf das eigenen Selbst und haben nicht die Fähigkeit, sich in die emotionale Lage anderer Menschen zu versetzen. Ihnen fehlt die Möglichkeit in Resonanz mit anderen Menschen zu schwingen, was gerade in Führungsbeziehungen deshalb fatal ist, weil Resonanz die einzige Möglichkeit ist, Menschen zu führen. 

  • Entwertung

Gerade in der schweren Form des malignen Narzissmus wird der andere verletzt oder entwertet. Der maligne Narzisst genießt das Leid des anderen, bis hin zu einem Lustempfinden. Entwertungen und Verletzungen sind oft sehr subtil, gepaart mit Überheblichkeit und Selbstgefälligkeiten oft auch zynisch und vor allem destruktiv. Der andere wird nicht nur schlecht gemacht und geredet, bis hin zu Verleumdung.

  • Abhängigkeiten

Narzissten schaffen Abhängigkeiten in Beziehungen, der andere wird zum Bittsteller und angepassten Jasager, muss den Narzissten dauernd loben und huldigen.

  • Konfliktunfähigkeit

Narzissten erdulden keinen Widerspruch, können daher auch nicht organisch einen Konflikt austragen, ohne den anderen zu verletzen. Da das Element der Selbstreflexion und Selbsterkenntnis völlig fehlt, gibt es auch keine Fehlereinsicht und damit fehlt die Fähigkeit sich zu entschuldigen. Denn das wäre ein Eingeständnis des eigenen Unvermögens. 

Im Führungsalltag beschreiben MitarbeiterInnen folgendes Verhalten: als Witze getarnte Beleidigungen, öffentliche Demütigungen, ständig beißende Ironie, rüdes Unterbrechen von Sitzungsteilnehmern und Ignorieren bestimmter Personen bei Sitzungen. Oder öffentliches Bloßstellen, Anschreien, kränkende Bemerkungen oder andere Schikanen.

Eine verstärkte Form einer antisozialen Störung in Führungspositionen ist die Psychopathie. Diese zeichnet sich durch den Mangel an jeglichem Mitgefühl aus, unfähig warmherzige Bindungen einzugehen. Verstärkt zum Narzissten, fehlt die Instanz des Gewissens, er kann chronisch lügen, Gesetze verletzen und ist unfähig Reue zu zeigen. 

Typische Wesensmerkmale des Psychopathen sind: Selbstbezogenheit, Unberechenbarkeit, Skrupellosigkeit, Emotionslosigkeit, vor allem die Fähigkeit andere zu manipulieren. Was im Gegensatz zum Narzissten beim Psychopathen noch hinzukommt: der Psychopath hat kein Gewissen, lügt wie andere Bier trinken, vor allem zeigt er keine Reue, oft mit einer hohe kriminelle Energie, zuletzt gesehen in mehreren Finanzskandalen.

Es hat in den letzten Jahren eine intensive Forschung über Psychopathie in Führungsetagen eingesetzt, vor allem Hare[6] und Kets de Vries[7] haben sich mit dem Thema auseinandergesetzt und festgestellt, dass in  Führungspositionen die Anzahl der Psychopathen 3-mal so groß ist, wie im Durchschnitt der Bevölkerung. 

Warum ziehen Führungspositionen Narzissten und Psychopathen an?

Ausschreibungen von Führungspositionen verlangen heute Eigenschaften wie Belastbarkeit, Durchsetzungsfähigkeit und Umsetzungsstärke, was die einzigen Grundlagen für Führung sein sollen. Es gibt bei Narzissten und Psychopathen Persönlichkeitsmerkmale, die daher Karrieretreiber sind und eine Schubkraft nach oben darstellen können, weil folgende Eigenschaften in unseren gesellschaftlichen Systemen gefördert werden: oberflächlicher Charme, gesteigertes Selbstwertgefühl, die Fähigkeit, andere zu beeinflussen oder zu manipulieren, die Fähigkeit zu lügen, übersteigerte Risikofreudigkeit.

Vor allem narzisstische Eigenschaften wie Rücksichtslosigkeit, mangelnde Empathie oder Emotionslosigkeit sind in der Karriereleiter oft sehr nützlich. Zudem kann der Narzisst in klassischen Führungspositionen sein krankhaftes Bestreben nach Grandiosität und Bewunderung ausleben. 

Gerade in Unternehmen entsteht nun das Problem, dass die Motivation von Narzissten die eigene Bewunderung ist, weniger das Wohl der Organisation.  Sie übernehmen weder eine Humanverantwortung, noch eine Erfolgsverantwortung im Unternehmen. In diesem Zusammenhang kann es daher nicht verwunderlich sein, dass viele Vorstände bei der Verkündigung der erfolgreichen Jahresbilanzen sich selbst als herausragend darstellen und gleichzeitig neue Massenentlassungen ankündigen.

Wie können wir toxischen Führung verhindern?

Wenn man toxische Führung untersucht, muss man berücksichtigen, dass hinter den äußeren sichtbaren Persönlichkeitsstörungen tiefe emotionale Verletzungen liegen. Das äußere Verhalten will diesen inneren Schmerz „zudecken und schützen“, was allerdings nie gelingen kann.

Im Organisationskontext werden viele Verhaltensweisen sichtbar, die nicht unbedingt narzisstisch sind, aber als neurotische Muster Vorstufen sein können. Das kann als opportunistische Geschmeidigkeit sichtbar werden, wie z.B. angepasste Gefälligkeit, verzweckte und absichtsvolle Beziehungen (wo Interaktionen als Ware gesehen werden, weithin auch als „Schleimen“ bekannt).  In Begegnungen wird meist ad hoc die Frage „Was machen Sie beruflich?“ gestellt, um gleich unbewusst abzutesten, ob der Gegenüber für mich wichtig ist oder nicht. So steht nicht der Mensch oder die menschliche Beziehung im Mittelpunkt, sondern die Funktion oder die Rolle dieser Person. Beziehungen und Begegnungen werden dann zu Handelswaren, wo es nur um den größtmöglichen Nutzen geht. Das alles sind noch nicht toxische Verhaltensweisen, aber es sind Vorstufen und wir werden in Zukunft in Organisation sehr genau darauf achten müssen, wollen wir New Work ermöglichen. 

Wenn wir New Work wirklich in einer Organisation leben wollen, müssen wir sicherstellen, dass diese nicht von toxischer Führung blockiert wird, dann sind folgende Punkte in Zukunft essentiell:

  • Leadershiprecruiting: diese sollte in Zukunft nicht mehr über Pseudoheadhunting alte Seilschaften bedienen, sondern im Auswahlverfahren die Aspekte und Möglichkeiten toxischer Führung berücksichtigen. Massive narzisstische Störungen richten enormen emotionalen und damit wirtschaftlichen Schaden an, dies muss bereits in Auswahlverfahren berücksichtigt werden.

  • Organisationen: Strukturen und Prozesse müssen sich in Zukunft so aufstellen, dass in Organisationen „Grandiositäten“ weniger Raum bekommen, indem die klassischen pyramidalen Hierarchien auf den Kopf gestellt werden. Was zählen muss: sind Ergebnis, Beitrag und Beziehungsfähigkeit. Typische Möglichkeiten der Erhöhungen wie „ManagerIn des Jahres“ oder andere Bühnen der Eitelkeit sollten in Zukunft des “New Works” weniger Raum haben.

  • Sensibilität: Grandiositäten, Bewunderungen und Anerkennungen werden ja immer von anderen Menschen verliehen. Wir haben die Tendenz in Form von Projektionen anderen Menschen Eigenschaften zuzuschreiben, die oft nicht zutreffen. Wir erhöhen und bewundern gerne andere Menschen. Aber nur wenn wir in unserer Wahrnehmung kritisch und differenziert bleiben, leisten wir verantwortungsvoll unseren Beitrag. Anderen Anerkennung zu verweigern, erfordert manchmal Mut, da sich der Gefahr einer sozialen Isolation aussetzt.

  • Normopathie: Pathologie der Normalität ist ein Begriff von Erich Fromm, der die klassischen Mechanismen unserer Gesellschaft mit dem Anerkennungsreflex und Erwartungsmanie als krankmachend bezeichnet hat. Lassen wir uns nicht von den Blendern täuschen und erkennen wir, dass manchmal die “Normalsten die Krankesten sind und die Krankesten die Normalsten” (Erich Fromm) sind.

Persönlich habe ich toxische Führung und Narzissmus in Führungsetagen in vielen Facetten kennengelernt, vor allem aber immer destruktiv und zerstörerisch, da oft vorsätzlich aus Neid die Arbeit anderer Menschen zerstört wird (diffamiert, schlecht geredet, blockiert, etc.)

Klassische Zugänge wie dialogische Gesprächsführung oder Konfliktlösung funktionieren mit Narzissten nicht, da die dazu notwendigen Eigenschaften wie Selbstreflektion oder Empathie einfach fehlen. Das ist gerade für feinfühlige Menschen wahnsinnig schwer nachzuvollziehen, daher leiden sie auch umso mehr. Aus meiner Erfahrung habe ich daher in besonders schweren Fällen nur einen Ratschlag: wenn möglich einen großen Bogen um Narzissten und Psychopathen in Führungssituationen zu machen, da persönliche Veränderung fast nicht möglich ist.

Gerade die Pandemie ist ein ein weltweites soziales Labor, wo die Art und Weise unserer Arbeit sich gerade grundsätzlich transformiert. “New Work” lebt Kollaboration, Lernen von anderen und flache Hierarchien, was mit toxischer Führung einfach nicht kompatibel ist.

Da Kontaktfähigkeit in gesunden Beziehungen nicht nur irgendwie nice to have” ist, sondern ein menschliches existentielles Urbedürfnis und letztlich der Grund dafür war, warum wir als Menschen überlebt haben, bin absolut davon überzeugt: Kooperation, natürliche Autorität und Kollaboration in New Work wird in Zukunft toxischer Führung weniger Raum geben, wenn jeder Mensch für sein Tun Verantwortung übernimmt und seinen individuellen Beitrag dazu leistet.

Wenn wir das tun, dann blicken wir auf eine lebendige und aufregende Zeit von “New Work”, ohne “toxischer Führung”.

Buchtip:

Die Kunst reifer Führung”, Werner Sattlegger, 2022

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Quellen

[1]Der Standard, 26. September, 2019, Karriereteil zitiert eine Studie Universität Bielefeld, der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin und der Universität Trier: Ergebnis von 37.308 quantitativen Bewertungen und 3.725 Textkommentaren, insgesamt 148 Unternehmen 

[2]Bennet J. Tepper, “Consequences of abusive supervision”, in: Academy of management journal, 2000  

[3] Reinhard Haller, “Die Narzismusfalle”, 2013

[4] Es beschreibt das Eintreten und Einstehen für die eigenen Interessen und Bedürfnisse

[5] Seth Rosenthal, Todd Pittinksy; “Narcistic Leadership”, 2006

[6] Robert D. Hare, „Gewissenlos. Die Psychopathen unter uns“, 2005

[7] Manfred Kets de Vries, „Führen, Narren und Hochstapler, Die Psychologie der Führung“, 2008

 

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Autor: Werner Sattlegger
Founder & CEO Art of Life

Experte für digitale Entwicklungsprozesse- wo er europäische mittelständische Familien- und Industrie-unternehmen von der Komfort- in die Lernzone bringt. Leidenschaftlich gerne verbindet er Menschen und Unternehmen, liebt die Unsicherheit und das Unbekannte, vor allem bewegt ihn die Lust am Gestalten und an Entwicklung.

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