DIE KRISE AUSSITZEN, DABEI LERNEN UND DANN WEITER
„Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar.“
(Ingeborg Bachmann)
Ach, wie gerne hätte ich mich hingesetzt in meinem Arbeitszimmer und hätte, was ich mir seit Wochen vornehme, weitergedacht, weiterverfasst, weitergeschrieben und von meinem Glauben an die symbiotische Kraft von Wirtschaft und Kunst berichtet und auch von meiner tiefsten Überzeugung, dass die beiden Bereiche zukünftig enger zusammenrücken werden, um sich auszutauschen, um sich zu bereichern, um voneinander zu lernen. Aber, wie sehr ich mich auch mühte, die Finger, die den Stift auf dem leeren Blatt Papier bewegen sollten, die rührten sich nicht. Gähnende Leere statt gefüllter Blätter. Kein Impuls aus dem Kopf, aus dem Herzen, der den Stift zum Bewegen gebracht hätte. Kein Gedanke, der es wert gewesen wäre, niedergeschrieben zu werden. Eine ganz formidable Schaffenskrise, eine Blockade, die Kreativität nicht zulässt. Ein Jammertal, das man als kreativer Mensch zu durchschreiten hat. Immer wieder mal. Jetzt, im Angesicht des Virus, ganz besonders. Aber, wie ich im Austausch mit Freunden und Bekannten aus Kunst und Kultur erfahren habe, ergeht es in diesen Tagen den allermeisten so. Die aktuelle Situation ist kein guter Nährboden für kreatives Denken. Was aber ist zu tun angesichts der Unmöglichkeit des Schaffens, wie ist der Plan in solchen Fällen, gibt es dafür überhaupt einen? Einen kreativen Notfallsplan?
Das eigene Denken aktiv schärfen
Die Antwort darauf ist denkbar einfach, wenn auch auf den ersten Blick vielleicht nicht sehr erfreulich: man muss die Krise einfach aussitzen. Viel Geduld aufbringen und den lieben Gott einen guten Mann sein lassen, sich anderen Dingen zuwenden. Der Familie etwa, die möglicherweise sonst ein wenig zu kurz kommt, den eigenen Vorlieben, wenn möglich, oder auch sich selbst ein wenig aus dem Zentrum rausrücken, die Zeit mit Denken über anderes zu nutzen, über totgeglaubte und jetzt wiedergefunden Werte zu sinnieren, sich mit den Begriffen Solidarität und Miteinander ernsthaft zu beschäftigen. Die Krise nicht als reines Unglück und Desaster begreifen, sondern auch als Chance eigene Muster, eigene Verhaltensweisen, eigene Zugänge zu überdenken, neues Denken zuzulassen, zu begreifen, dass jedes Wachstum auch einmal zu seinem natürlichen Ende kommt, jeder Weg nicht immer nur linear ist, sondern immer auch unvorhersehbare Abzweigungen bereitgestellt hat, und dass diese per se nicht schlecht sein mögen. Über all dies gilt es nachzudenken in der Krise, in einer Zeit, die es genau dafür zu nutzen gilt. Dies ist im Moment unser wichtigster Auftrag und weniger, dem eigenen Genius (haha!!!) nachzueifern. Der wird sich schon wieder melden, wenn es an der Zeit ist. Der lässt sich ja ohnehin nichts sagen. Die Krise aussitzen, dabei aber aktiv sein. Aktiv das Denken über die eigene Position im großen Miteinander schärfen, das große Miteinander anders zu begreifen, zumindest einen solchen Versuch einmal zu wagen. All das würde ich denjenigen ins Stammbuch schreiben wollen, die sogar in dieser für uns alle schwierigen und prekären Zeit so tun, als ginge alles seinen gewohnten Lauf, und business as usual betreiben.
Die Welt und ich / Ich und die Welt
Nichts geht im Moment seinen gewohnten Lauf. Und einfach so weitermachen, als ob nichts geschehen wäre, das ist einfach nicht möglich. Und auch nicht denkbar.
Obwohl es sogar im Jetzt und Hier Menschen gibt - Beispiele dafür werde ich in einem anderen Blogeintrag bringen - die die Zeichen der Zeit einfach nicht verstanden haben, diese nicht verstehen wollen. Menschen die sich gar nicht die Mühe machen, über die Zeichen der Zeit nachzudenken, zu reflektieren, die Dinge in einen neuen, anderen Kontext zu bringen. Starre Systeme, als Einzelpersonen, Gruppen, Unternehmen, deren Zukunft mit Sicherheit keine rosige sein wird. Diese, meine Annahme, würde ich ohne Zögern auf das Private, die Wirtschaft, die Kunst, die Gesellschaft und auch auf die Politik anwenden wollen. Das Starre hat verloren. Wer sich jetzt nicht bewegt, der hat verloren.
Wir alle, jeder einzelne, jede Gruppe, jedes Unternehmen sollte jetzt mehr denn je auf der Hut sein. Wir müssen an Flexibilität gewinnen, an frischen Kontextualisierungen. Wir müssen wieder lernen zu lernen, müssen uns in der Welt neu sortieren, unseren Platz neu definieren, bereit sein für das Neue, das Unbekannte, das Wagnis. Miteinander, Solidarität und Empathie sollten keine netten Schlagworte sein, sie sollten gelebt werden. Schlicht und einfach deshalb, weil diese Tugenden uns allen gut tun. Sie sind vielleicht unser allerhöchstes Gut.
Ist ein Weg zu Ende, sollten wir einfach einen anderen gehen. Dieser könnte sich ohnehin als der bessere erweisen. Wir sollten dafür bereit sein. Jetzt die Krise noch aussitzen, aber dabei aktiv denken und gestalten.
Und bereit sein. Für das Neue!
Herzlich,
Oliver Welter