Wettbewerbsfähig bleiben
Die Aufregung und die Vorfreude waren riesig, gepaart mit einer großen Portion Neugier, wie sich das Silicon Valley nach der Pandemie verändert hat.
Ist es nach wie vor die Brutstätte technologischer Entwicklungen?
Welche neue Trends kommen auf uns zu?
Wie verändert sich gerade unsere Arbeitswelt?
Oder ist geht das technologische Zeitalter schon zu Ende?
All diese Fragen stellten wir uns, die Teilnehmer der letzten Silicon Valley Learning Journey im Oktober 2022 und ich. Nach einer pandemiebedingten Pause verbrachte ich im Herbst 2022 einige Wochen in San Francisco, ich sprach mit vielen Führungskräfte, besuchte Start Ups, Labs und Acceleratorprogramme, um die Learning Journey für die Teilnehmer vorzubereiten. Eine Fülle von Insights war die Folge, die ich sehr gerne in diesem und weiteren Beiträge teile.
Der erste Eindruck war von folgendem geprägt:
Hardfacts wie Investitionsrückgänge, taumelnde Techgiganten, Kündigungen oder der FTX Downfall zeigen ein schwieriges Marktumfeld. Vieles bleibt unsicher, Unternehmen reagieren mit Kostensparprogrammen.
Dem Gegenüber schon freundlichere Prognosen wie bereits sinkende Inflationsraten - mit knapp 7% schon weit niedriger als in Europa - atemberaubende technologische Entwicklungen im Bereich Künstlicher Intelligenz, vor allem aber ein noch immer unvergleichlicher Mindset: in Möglichkeiten denken, unerschütterlicher Optimismus, aus Fehlern lernend Neues ausprobieren oder in Kooperationen denken. Das auch obwohl an der US Westküste die Lockdowns wesentlich massiver waren als in Österreich.
Learnings der Silicon Valley Learning Journey
In einer mehrmonatigen Vorbereitungsphase haben die Teilnehmer, Führungskräfte aus mittelständischer Industrie, ihre größten Herausforderungen erörtert, geschärft und definiert, in den Bereichen Products, Leadership und Organisation.
In einer genau auf diese individuellen Fragestellungen abgestimmten Lernwoche haben wir Start Ups, Corporates, Labs oder TOP Führungskräfte getroffen, in Daily Stand Ups und Masterclasses von anderen gelernt, hier nun die Übersicht der wichtigsten Erkenntnisse:
Unternehmenskultur und Leadership
Softskills wie authentische Führung und Präsenz sind nicht “nice to have”, sondern spielen einen integralen Bestandteil interner “Performance Bewertungen”. Das zwischenmenschliche Verhalten und Persönlichkeit von Führungskräften werden oft im sogenannten Leadership Circle Profile abgebildet und spielen bei Beförderungen eine wesentliche Rolle.
Die Unternehmenskultur findet Eingang in die formalen Strukturen, so dienen z.B. die Unternehmenswerte beim Recruiting, Onboardingprozess oder Meetings nicht nur als Orientierung, sondern werden an Hand von Indikatoren gemessen.
Organisation und Struktur
Eigenverantwortung und Selbstorganisation werden oft an einer “fully remote policy” sichtbar, viele der Unternehmen haben überhaupt kein Büro mehr, MitarbeiterInnen arbeiten weltweit von zu Hause. Strukturen sind flach und basisdemokratisch, in “peer reviews” wird z.B. das Performancemanagement oder das Hiring im Kollektiv entschieden.
In sogenannten “post mortem reviews” werden nach Projekten Fehler analysiert, evaluiert was falsch gelaufen ist, ohne andere zu beschämen - “no blaming” bedeutet eine gelebte Lernkultur. Gearbeitet wird in vielen Unternehmen mit dem sogenannten 3 Box Ansatz.
Automatisierung und Künstliche Intelligenz
Trotz aller schwierigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sind die technologischen Entwicklungen dank der Investitionswelle im letzten Jahr enorm. Sei es im Bereich KI basierten Automatisierungen von Dokumentenverarbeitungen, KI gesteuerten Kommunikationsmöglichkeiten für den Einsatz von Call Center, Sensorik oder Datenanalysen, sie alle haben eines gemein: sie können die Herausforderung des Arbeitskräftemangel lösen.
Wie sind diese in der Praxis anwendbar ?
KI basierte Automatisierungen werden in Low oder sogar No Code Form angeboten, im Baukastensystem können sich die User individuell ihre eigenen Anwendungen bauen.
Leicht von jedem zu lernen der sich interessiert, anwendbar überall dort wo Daten verarbeitet werden, sei es in der Buchhaltung, Rechnungslegung, Einkauf oder Personalwesen. Wir besuchten dazu z.B. das deutsche Start Up Automationhero , das im Silicon Valley zum einer der führenden Anbieter in der Automatisierung von Geschäftsprozessen ist. Das Ergebnis war beeindruckend, Prozesse wie Rechnungseingang, Bestellwesen oder Onboarding werden dadurch schneller, fehlerfreier und billiger.
Andere Anwendungsformen von KI haben wir in hochspannenden Lösungen im Produktionsbereich wie z. B. von Arch Systems gesehen, wo Datenanalysen Bottlenecks verhindern und Produktivität erhöhen.
Was sind sonst aktuelle Trends ?
Investitionsrückgang
Die Party und das Feuerwerk an Investitionen aus dem Jahr 2021 ist vorbei. So erreichte die weltweite Risikokapitalfinanzierung im Oktober 2022 zwar noch ca. 27 Mrd. USD und blieb damit im Vergleich zum Vormonat unverändert, ging aber im Jahresvergleich um mehr als 50 % zurück. Am stärksten sanken die Finanzierungen in der Spätphase, um mehr als 60 % im Vergleich zum Vorjahr. Die Frühphasenfinanzierung ging um etwa 40 % und die Seedfinanzierung um 20 % zurück. Es wird vorsichtiger investiert, Start Ups können Liquiditätsengpässe bekommen, den Zeiten des billigen Geldes ist vorbei.
Unternehmensbewertungen
Im Investitionsboomjahr 2021 sind Unicorns im Rekordtempo aus dem Boden geschossen. Irrationale Überbewertungen von Unternehmen war die Folge, jeder wollte das schnelle Geld machen. Das verrücktestes Beispiel dieser Irrationalität ist der Fall der Kryptobörse FTX. Im Jänner 2022 noch mit einer Bewertung von 32 Milliarden Dollar musste es Anfang November Insolvenz anmelden. Hybris, Größenwahn und wahrscheinlich Betrug auf der einen Seite, aber auch FOMA - fear of missing out - auf Seite der Investoren wie Sequioa oder Blackrock waren die Ursachen dieser Tragödie.
Ein anderes Beispiel ist Hopin, eine 2019 gegründete Plattform für die Verwaltung von virtuellen, hybriden und Live-Events, die 2020 und 2021 eine Milliarde US-Dollar einnahmen und eine Spitzenbewertung von 7,75 Milliarden US-Dollar erhielten. Ein Jahr später macht Hopin einen Rückzieher und hat 29 % seiner Mitarbeiter entlassen.
Jobs
Gleichzeitig stiegen nach Angaben des Technologieunternehmens Dice die Stellenausschreibungen zwischen Juni 2021 und 2022 um 60 %, da große Unternehmen wie Amazon und Apple weiterhin Talente einstellen. Der Juni endete mit 554.573 offenen Stellen im Technologiebereich. Zum Vergleich: Das bedeutet, dass auf jede Person, die bisher im Jahr 2022 entlassen wurde, etwa acht offene Stellen kommen. Jobs in Bereichen wie Cybersicherheit, Cloud-Betrieb sowie Datenwissenschaft und -analyse sind weiterhin gefragt.
Ausblick
Die Westküste aber überhaupt USA ist ein Land der Extreme, immer schlägt das Pendel in eine oder andere Richtung aus. Das bedeutet auch Schattenseiten, wie dort zum Beispiel Mitarbeiter gekündigt werden oder Despoten wie Musk agieren.
Aber am Ende bleibt für mich nach diesen spannenden Wochen die wichtigste Erkenntnis über: wir stehen noch am Anfang eines fundamentalen Wandels in der Arbeitswelt, die digitale Transformation erfordert reife, mutige und authentische Führungskräfte.
Aber wir brauchen uns nicht zu fürchten, wir können stolz sein auf unsere Tradition und unser Wissen, wir sollten uns aber nicht darauf ausruhen. Die Westküste und das Silicon Valley sind nach wie vor ein Ort wo das Neue entsteht, es zahlt sich aus dorthin zu fahren, um sich auf diesen Wandel vorzubereiten.
Autor: Werner Sattlegger, Founder Art of Life
Tip: Executive Silicon Valley Learning Journey, 26. Juni - 30. Juni, 2023
Lesetipps:
Autor: Werner Sattlegger
Founder & CEO Art of Life
Experte für digitale Entwicklungsprozesse, wo er europäische mittelständische Familien- und Industrie-unternehmen von der Komfort- in die Lernzone bringt. Leidenschaftlich gerne verbindet er Menschen und Unternehmen, liebt die Unsicherheit und das Unbekannte, vor allem bewegt ihn die Lust am Gestalten und an Entwicklung.
