Ship the work
Das heißeste Wetter in San Francisco seit Jahrzehnten, Fleet Week und Tech Week laufen parallel – die Stadt vibriert förmlich vor Energie. Überall begegnet man super smarten Menschen, die mit Leidenschaft und Vision an ihren Projekten arbeiten.
Seit einigen Wochen tauche ich in dieses dynamische Umfeld ein, spreche mit visionären Gründern, erfahrenen Investoren und außergewöhnlich klugen Köpfen. Was mich dabei besonders bewegt, ist, wie anders hier gearbeitet wird – und wie sich diese Arbeitsweisen von unseren gewohnten Geschäftsprozessen unterscheiden. Genau darum geht es in diesem Beitrag.
Defining Moments
Was bei den unzähligen Events immer wieder klar wird, ist die Tatsache, dass wir in einer entscheidenden Zeit leben. Egal ob es um die Entwicklung von Robotern oder Generative AI geht – die Künstliche Intelligenz verändert alles, und wir stehen erst am Anfang einer bahnbrechenden Entwicklung. Gestern bei einem Event von Venture Capital Lightspeed wurde deutlich, dass Roboter in den nächsten Jahren durch die Decke gehen werden.
Laut Schätzungen könnten in den USA in den nächsten Jahren tatsächlich rund 85 Millionen Arbeitskräfte fehlen. Diese Lücke wird durch Automatisierung und den Einsatz von Robotern geschlossen werden müssen.
Auch in Europa sieht es nicht viel besser aus: Hier wird bis 2030 ein Fachkräftemangel von rund 44 Millionen Arbeitskräften erwartet. Die Herausforderung wird darin bestehen, möglichst schnell den Umgang mit Robotern zu lernen und diese effizient in den Arbeitsalltag zu integrieren.
SPEED KIILS
Im Silicon Valley zählt Geschwindigkeit – Ideen werden schnell umgesetzt und Produkte sofort auf den Markt gebracht. In Europa erlebe ich dagegen oft ein Zaudern und Zögern, das berühmte ‘Schauen wir mal’. Es wird abgewartet, verglichen und auf Nummer sicher gegangen, oft verlaufen Projekte im Sand oder es erfolgt gar keine Antwort mehr. Statt auf Perfektion zu warten, setzen Unternehmen im Valley auf Iteration und lernen durch echtes Feedback von Kunden. Es geht immer darum, schnell Kunden zu finden, von ihnen zu lernen und das Produkt kontinuierlich zu verbessern.
Bei Meet-ups treffe ich ständig junge, verrückte Menschen, die gerade jetzt während der Tech Week hier sind und VC-Kapital für ihre Produkte suchen – oft schon nach nur sechs Wochen Entwicklungszeit mit einem Prototypen in der Hand.
Auf meine Frage, ob er nicht Sorge habe, dass das Produkt noch Fehler enthalte, antwortete einer: ‘Natürlich gibt es noch Baustellen, aber echtes Feedback bekommen wir nur von echten Nutzern.’
Diese Einstellung, der Mut zur Unvollkommenheit, um schneller zu lernen, hat mich tief beeindruckt. In Österreich hingegen erlebe ich häufig, dass Projekte erst nach langwierigen Perfektionierungsphasen präsentiert werden.
Unternehmen, die Produkte frühzeitig einführen, erzielen durchschnittlich 30 % höhere Gewinne als solche mit langen Entwicklungszyklen1.
Trust
Vertrauen ist das Fundament nicht nur für erfolgreiche Teams, sondern auch in der Welt des Venture Capitals. Nur wenn Investoren hungrigen, smarten Gründern nicht nur fachlich, sondern auch charakterlich zutrauen, das Geschäft zu rocken, können sie langfristig erfolgreich bleiben.
Persönliches Erlebnis:
Bei einem Besuch in einem aufstrebenden Tech-Unternehmen war ich fasziniert von der Art und Weise, wie Entscheidungen getroffen wurden. Die Hierarchien waren flach, und Mitarbeiter agierten eigenverantwortlich. Meetings wirkten eher wie kreative Denkwerkstätten statt klassischer Anweisungsrunden. Als ich den CEO fragte, wie sie Kontrolle ausüben, antwortete er mit einem Satz, der mir im Gedächtnis blieb: 'Wir haben kluge Menschen eingestellt – warum sollten wir ihnen nicht vertrauen?'
So ist z.B. Netflix bekannt für seine Kultur des Vertrauens. Mitarbeiter genießen Freiheiten bei der Gestaltung ihrer Arbeit und werden ermutigt, Entscheidungen selbst zu treffen. Das Ergebnis ist ein agiles Unternehmen, das schnell auf Marktveränderungen reagiert und regelmäßig mit innovativen Ideen überrascht.
Unternehmen mit hoher Vertrauenskultur verzeichnen eine 74 % höhere Mitarbeiterzufriedenheit und 50 % höhere Produktivität2.
Stay Focused
Ein erfahrener Investor erzählte mir: "Die größte Herausforderung hier ist nicht, Ideen zu finden, sondern die richtigen Ideen auszuwählen." Dieser Satz blieb hängen. Viele Start-ups scheitern nicht an mangelnden Visionen, sondern daran, dass sie sich verzetteln. Im Gegensatz dazu haben erfolgreiche Unternehmen eine klare Strategie und verfolgen diese konsequent.
Praktisches Beispiel:
Steve Jobs war ein Meister des Fokus. Durch seine unermüdliche Konzentration auf nur wenige, aber herausragende Produkte hat er Apple nicht nur zur wertvollsten Marke der Welt gemacht. Fast jeder zweite Mensch den ich treffe hat ein iPhone – als es 2007 auf den Markt kam, setzte Apple gezielt auf Design und Perfektion, keine faulen Kompromisse. Alleine das iPhone generierte im Jahr 2023 rund 50 % des Gesamtumsatzes von Apple, was die enorme Bedeutung dieser Fokussierung unterstreicht.
Productivity
Produktivität bedeutet, intelligent zu arbeiten, nicht zwangsläufig härter. Durch effektive Prozesse und den Einsatz moderner Technologien maximieren Unternehmen ihre Leistung, ohne die Mitarbeiter auszubrennen.
In Gesprächen mit verschiedenen Führungskräften bemerke ich einen gemeinsamen Nenner:
Überstunden sind kein Statussymbol. Oft wird noch in vielen Konzernen Geschäftigkeit und Wichtigkeit gelebt, jeder schaut wie er wichtiger sein kann, als er tatsächlich ist. Wichtig ist viel mehr, wieviele Mails ich schreibe und wie lange ich im Büro sitze, anstelle meines Outputs.
Stattdessen investieren viele hier im Silicon Valley in Tools und Methoden, die die Arbeit effizienter gestalten. Ein Manager sagte treffend: "Unsere Mitarbeiter sollen Ergebnisse liefern, nicht ihre Zeit absitzen."
Ship the work
Hätte, sollte, könnte – diese Worte höre ich immer wieder in Gesprächen. Viele haben großartige Pläne, aber die Umsetzung bleibt oft aus. Genau das ist der Grund, warum es in Österreich nicht diese ausgeprägte Start-up-Kultur gibt, in der Menschen mutig Neues wagen und ihre Ideen auch zu Ende bringen.
‘Ship the work’ bedeutet, nicht nur zu träumen, sondern abzuliefern – das zu tun, was man ankündigt, und die Projekte konsequent umzusetzen. Das ist auch genau das, worauf Investoren achten. Sie fragen sich: Traue ich diesem Unternehmen zu, nicht nur kurzfristig erfolgreich zu sein, sondern auch über längere Zeit durchzuhalten und beständig zu bleiben?
Fazit
Das Silicon Valley ist nicht nur ein geografischer Ort, sondern eine Denkweise. Eine, die Risiken als Chancen sieht und in der das Unmögliche möglich wird. Diese Energie ist ansteckend und ich freue mich schon auf die nächste Woche, wenn unsere Lernreise beginnt.
Footnotes
Cooper, R. G. (2019). The Drivers of Success in New-Product Development. Product Development Institute. ↩
Zak, P. J. (2017). The Neuroscience of Trust. Harvard Business Review. ↩
McKinsey & Company. (2018). The Art of Focused Resource Allocation. ↩
Gallup. (2017). State of the American Workplace. ↩
Autor: Mag. Werner Sattlegger, CEO Art of Life
Quellen:
Gespräche mit Entwicklern
Experte für digitale Entwicklungsprozesse, wo er europäische mittelständische Familien- und Industrie-unternehmen von der Komfort- in die Lernzone bringt. Leidenschaftlich gerne verbindet er Menschen und Unternehmen, liebt die Unsicherheit und das Unbekannte, vor allem bewegt ihn die Lust am Gestalten und an Entwicklung.