Gedanken zum Jahreswechsel

Der Jahreswechsel ist oft die Zeit der Vorsätze – große Pläne, ambitionierte Ziele, aber auch gut gemeinte Ratschläge, wohin man blickt oder hört. Sie kommen von allen Seiten, denn jeder meint zu wissen, was nun wichtig ist, worauf es ankommt und wie man noch erfolgreicher wird.

Das hat sicher seine Berechtigung. Doch während wir all das tun, wird mir gerade zum Jahreswechsel wieder bewusst, wie uns die Zeit oft wie Sand durch die Finger rinnt. Erfolg und Leistung sind wichtig, aber die entscheidendere Frage ist doch, wie man diese Zeit neben der Leistung sinnvoll füllt – und was eigentlich die Zutaten eines guten Lebens sind. Das ist vielleicht in der ersten Hälfte des eigenen Lebens nicht so wichtig, aber wenn man älter wird, gewinnt diese Frage immer an Bedeutung.

Jack Dawson im Film Titanic drückt es treffend aus“ Man weiß nie, was man als nächstes für Karten kriegt. Man lernt das Leben so zu nehmen, wie es gerade kommt. Weil jeder Tag zählt.“ . Für ein erfülltes und gutes Leben haben wir nicht ewig Zeit, spätestens am Sternebett werden wir zurückblicken und uns fragen, was wirklich wichtig ist, gerne hier meine Gedanken.

Die Kunst des guten Lebens

Meine Potentiale zu entfalten, Bedeutung in der Arbeit zu erfahren, Neues in die Welt zu setzen oder aufregende Projekte anzufangen und abzuschließen, das alles erfüllt mich persönlich mit unfassbarer Freude und Dankbarkeit. Doch sind diese Erfahrungen im großen Kontext des Lebens nur Bausteine eines größeren Ganzen, das man das gute Leben benennen kann, wie dies auch schon Marc Aurel gemacht hat.

  • Für mich sind diese anderen Bausteine vor allem Beziehungen, wie z.B. ein guter Vater und Ehemann zu sein, Freundschaften zu pfegen, - schlichtweg qualitätsvolle Beziehungen zu führen, was angesichts unserer schnelllebigen Zeit alles andere als einfach ist.

  • Denn wir leben in einer Zeit voll von Beliebigkeit und Optimierung, Menschen werden oft wie Waren behandelt, wer ist mir warum wie wichtig, danach werden oft Kontakte gesucht . Erich Fromm hat in seinem Werk “Wege einer kranken Gesellschaft” schon sehr tiefgehend darauf hingweisen, wie wir Menschen uns oft immer mehr in Richtung Marketingcharakter entwickeln, wo es nur mehr darum geht, wie wir wirken und nicht wer wir sind.

Warum sind Beziehungen nun so wichtig für ein erfüllte Leben, gibt es dazu Studien?

Beziehungen als Schlüssel

Die Bedeutung von Beziehungen wird vor allem in der längstdauernden Studie der Menschheitsgeschichte belegt - Harvard Study of Adult Development. Diese läuft seit über 80 Jahren und zeigt, dass soziale Verbindungen der wichtigste Faktor für ein erfülltes und gutes Leben sind. Ursprünglich wurde untersucht, was erfolgreiche Karrieren und gesundes Altern beeinflusst, im Laufe der Jahre hat sich der Fokus der Studie auf Lebensglück, Beziehungen und ein erfülltes Leben erweitert. Was sind die wichtigsten Ergebnisse?

  • Qualität zählt: Enge, unterstützende Beziehungen sind der wichtigste Faktor für ein errülltes Leben – weit mehr als Geld, Ruhm oder Karriereerfolg.

  • Einsamkeit schadet: Menschen, die einsam sind, berichten von schlechterer Gesundheit, mehr Depressionen und einer kürzeren Lebensspanne.

  • Streit ist nicht das Problem: Konflikte in Beziehungen sind normal. Entscheidend ist, wie Paare oder Freunde mit diesen Konflikten umgehen und ob sie sich trotz Meinungsverschiedenheiten unterstützt fühlen.

    Ersatzkontakt als Form der Vermeidung

Ersatzkontakt bezeichnet der österreichische Psychiater Wilhelm Reich als ein oberflächliche Form von Beziehung oder Interaktion, die entsteht, wenn Menschen durch innere Blockaden wie Ängste oder emotionale Panzerung von ihren echten Gefühlen und Bedürfnissen getrennt sind. Statt lebendig und authentisch zu agieren, handeln sie mechanisch oder angepasst, um Tiefe und Verletzlichkeit zu vermeiden.

Wir wissen, wie sich lebendiger und nährender Kontakt anfühlt, vor allem wenn wir mit Kinder zusammen sind. Meine perönlichen Erfahrungen stimmen mit den Ergebnissen der Studie überein, es sind die Beziehungen die uns als Menschen ausmachen.

Meaning and Purpose

Aber meiner Erfahrung nach sind es nicht nur die Beziehungen, sondern auch die Erfahrung von Sinn, die ein erfülltes Leben ausmachen. Viele Jahre habe ich einen Lehrgang für sinn und werteorientierte Untenehmensführung geleitet und feststellen müssen, dass viele Menschen in der Arbeit Sinnleere erfahren (nach Gallup fast 70% der Menschen in Organisationen). Viktor Frankl war der Sinnforscher des Jahrunderts und erklärte, dass der Mensch sogar ein Konzentrationslager überleben kann, wenn er einen Sinn sieht, selbst unter den härtesten Bedingungen, was er in seinem Buch Man's Search for Meaning eindrucksvoll aus seinen Erfahrungen des Holocaust beschrieben hat.

Sinnvolle Arbeit oder das Verfolgen von Leidenschaften sind meiner Erfahrungen die besten Grundpfeiler, für ein erfülltes und gutes Leben. Nicht Geld und Anerkennung alleine, denn diese sind flüchtig und limitiert. So gibt es aut Kahneman und Deaton den berühmten „Sättigungspunkt“, ab dem mehr Einkommen das Glück nur noch minimal steigert. In den USA liegt dieser Punkt bei etwa 75.000 USD pro Jahr, in Europa je nach Lebenshaltungskosten ähnlich. Es steht auser Frage, dass Geld helfen kann, unabhängig und eigentändig zu leben, aber es ist nicht die Quelle eines erfüllten Lebens.

Jeder Tag zählt

Die wichtigste Erkenntnis der Harvard-Studie und meiner eigenen Lebenserfahrung lässt sich auf eine einfache Wahrheit reduzieren: Es sind unsere Beziehungen, die unser Leben prägen. Kein Erfolg, kein materieller Besitz und kein äußeres Ansehen kann das ersetzen, was uns wirklich erfüllt macht: tiefe Verbindungen zu Menschen, die uns wichtig sind, das ist auch meine ganz persönliche Erfahrung.

Doch Beziehungen entstehen nicht von allein. Sie brauchen Aufmerksamkeit, Zeit und Pflege, aber auch Mut sich Herausforderungen zu stellen. In unserer schnelllebigen Welt, in der Arbeit, Verpflichtungen und Ablenkungen oft die besten Absichten verdrängen, nicht so einfach. Aber genau hier liegt auch die Chance:

  • Egal, wie voll unser Kalender ist, ein paar Minuten für einen Anruf, ein Treffen oder eine Nachricht können den Unterschied machen.

  • Ein ehrliches „Danke“ oder ein aufmerksames „Wie geht es dir wirklich?“ kann Türen öffnen und Bindungen vertiefen.

  • Wenn wir Zeit mit anderen verbringen, seien wir ganz da. Handy, E-Mails oder To-do-Liste können warten.

  • Wenn wir wieder einmal von Gasligthing oder Ghosting betroffen sind, nicht alles persönlich nehmen.

  • Mut zu haben, die Hand auszustrecken, nicht in kindlicher Gekränktheit zu verfallen, wenn wir verletzt werden.

Am Ende unseres Lebens werden es nicht die beruflichen Erfolge oder die Besitztümer sein, die wir am meisten in Erinnerung behalten, sondern die Momente der Menschlichkeit und echter Beziehungen, wie es in diesen Zeilen nicht treffender hätte formuliert werden können

MEINE SEELE HAT ES EILIG.

Ich habe meine Jahre gezählt und festgestellt, dass ich weniger Zeit habe, zu leben, als ich bisher gelebt habe. Ich fühle mich wie dieses Kind, das eine Schachtel Bonbons gewonnen hat:

Die ersten isst es mit Vergnügen, aber als es merkt, dass nur noch wenige übrig sind, beginnt es sie wirklich zu genießen. Ich habe keine Zeit für endlose Konferenzen, bei denen die Statuten, Regeln, Verfahren und internen Vorschriften besprochen werden, in dem Wissen, dass nichts erreicht wird.

Ich habe keine Zeit mehr, absurde Menschen zu ertragen, die ungeachtet ihres Alters nicht gewachsen sind. Ich habe keine Zeit mehr, mit Mittelmäßigkeit zu kämpfen. Ich will nicht in Besprechungen sein, in denen aufgeblasene Egos aufmarschieren.

Ich vertrage keine Manipulierer und Opportunisten. Mich stören die Neider, die versuchen, Fähigere in Verruf zu bringen, um sich ihrer Positionen, Talente und Erfolge zu bemächtigen.

Meine Zeit ist zu kurz, um Überschriften zu diskutieren. Ich will das Wesentliche, denn meine Seele ist in Eile. Ja, ich habe es eilig, ich habe es eilig, mit der Intensität zu leben, die nur die Reife geben kann. Ich versuche, keine der Süßigkeiten, die mir noch bleiben, zu verschwenden. Ich bin mir sicher, dass sie köstlicher sein werden als die, die ich bereits gegessen habe. Mein Ziel ist es, das Ende zufrieden zu erreichen, in Frieden mit mir, meinen Lieben und meinem Gewissen”

Wir haben zwei Leben und das zweite beginnt, wenn du erkennst, dass du nur eins hast “ (von Mario de Andrade San Paolo, 1893-1945)

In diesem Sinne wünsche ich ein jahr 2025 voller Beziehungen, die uns nähren und wachsen lassen.

Autor: Werner Sattlegger, Founder der Art of Life

Events:

Executive Silicon Valley Learning Journey, 02. Juni - 06.Juni, 2025

Bücher

Werner Sattlegger: “Die Kunst reifer Führung”

Erich Fromm: “Wege einer kranken Gesellschaft”

Viktor Frankl “Der Mensch auf der Suche nach Sinn”

 

Autor: Werner Sattlegger
Founder & CEO Art of Life

Experte für digitale Entwicklungsprozesse, wo er europäische mittelständische Familien- und Industrie-unternehmen von der Komfort- in die Lernzone bringt. Leidenschaftlich gerne verbindet er Menschen und Unternehmen, liebt die Unsicherheit und das Unbekannte, vor allem bewegt ihn die Lust am Gestalten und an Entwicklung.