WAS PASSIERT EIGENTLICH AUF EINER BÜHNE?
Für mich, der ich mehr oder weniger auf der Bühne lebe und mich genau dort wohler fühle als nirgendwo sonst, für einen solchen wie mich ist diese Frage leicht beantwortet: Auf der Bühne passiert Magisches, Einzigartiges, Großes. Und all das ist auf den Brettern, die die Welt bedeuten, erstaunlicherweise immer wieder abrufbar und oft und oft wiederholbar. Bevor ich darauf aber näher eingehe, möchte ich Ihnen gerne eine fast unglaubliche Geschichte erzählen: In den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts hatte ich das Vergnügen den großen und leider schon verstorbenen Theaterregisseur Einar Schleef kennenzulernen. Der Mann war eine echte Größe am europäischen Theaterhimmel und bekannt für seine intensiven und atemberaubenden Inszenierungen. Ein persönliches Problem aber machte ihm zu schaffen: seit einem schweren Unfall in der Jugend stotterte er. Nicht einen Satz konnte er sagen, ohne ins Stottern zu verfallen. Mit einer einzigen Ausnahme, der BÜHNE. War er nämlich auf einer Bühne - mit oder ohne Publikum - dann konnte er die schwierigsten Texte fließend von sich geben, ohne sich auch nur ein einziges Mal zu versprechen. Ging er dann die paar Stufen von der Bühne wieder runter auf den „normalen“ Boden, dann verfiel er sofort wieder in heftiges und fast schon bemitleidenswertes Stottern.
Alles ist möglich
Eigentlich unmöglich, werden die meisten von uns sagen. Wie kann denn sowas sein?
Mit der Wissenschaft und empirischen Daten lässt sich ein solches Phänomen nicht erklären. Wie aber sonst? Um es mit sehr einfachen Worten zu verdeutlichen: es ist die unendliche Kraft der Bühne, die Menschen völlig verändern kann und sie ihre vermeintlichen Schwächen einfach vergessen lässt. Wenn man sich nämlich uneingeschränkt und angstbefreit auf die Möglichkeiten der Bühne einlässt, dann ist sie ein riesiger Nährboden für Körper, Geist und Seele. Für jeden von uns. Ob Schauspieler, Musiker, unerfahrener Bühnenlaie, Manager, Führungskraft oder was auch immer, die Bühne vermag - in einem metaphorischen Sinn - Wasser in Wein zu verwandeln. In einem konkreten Sinn bedeutet dies, dass die Bühne uns helfen kann, unsere Ängste abzulegen, unsere persönlichen Möglichkeiten um ein vielfaches verstärkt und uns zu Handlungsweisen befähigt, die wir uns niemals zugetraut hätten. Die Kraft der Bühne ist schier unerschöpflich. Und alles ist möglich.
Ohne Mut geht gar nichts
Ich gebe zu, die Bühne, dieser halbe oder ganze Meter an Erhöhung (mehr ist es im Prinzip ja auch nicht), mag für viele von uns zuerst einmal furchteinflößend sein. Unsere grundsätzliche Angst vor dem Scheitern, vor dem Versagen, wird durch die Anwesenheit und Beobachtung anderer noch schlimmer. Das eigene „exponiert sein“ auf der Bühne wird zu einer horrenden Vorstellung. Extrem hoher Puls, schwitzende Hände und zittriger Körper inklusive. „ Da geh ich nicht rauf, für die Bühne muss man geboren sein“, sagen viele. Das mag ja für einige Menschen auch Geltung haben, etwa für herausragend gute Schauspieler oder Entertainer jeglicher Art, bei denen es den Anschein hat, sie würden wirklich in den heiligen Hallen der Theater aufgewachsen sein. Aber für diese Menschen gilt dasselbe wie für andere, die noch wenig bis keine Erfahrung mit der Bühne haben: Ohne Mut geht gar nichts! Ohne den Mut, sich einzulassen auf das Neue, unbekanntes Terrain und unbekannte Möglichkeiten zu entdecken, ohne Pioniergeist also, ohne den Glauben an Veränderungen und ohne den Glauben, dass diese Veränderungen gutes bewirken werden, ohne all das geht es freilich nicht. Ohne all das ergibt das Betreten einer Bühne auch wenig Sinn. Aber genau diesen Mut und den Glauben an positive Veränderung werden wir besonders in naher Zukunft, in der die Gesellschaft als auch die Wirtschaft sich wohl grundlegend ändern werden, mehr als alles andere benötigen. Ohne Mut kein neues Land. Ohne Mut keine Aussicht. Weder auf, noch abseits der Bühne!
Der Bühne zu vertrauen heißt an sich zu glauben
Der eingangs erwähnte Einar Schleef hat der Bühne vertraut und an sich geglaubt. Nur deshalb konnte er auf den Theaterbühnen dieser Welt sein Stottern ablegen und Tausende von Menschen mit seiner Sprechkunst begeistern. Ich für meinen Teil hatte nie ein augenscheinliches Handycap. Meines war mehr ein verinnerlichtes Problem: Ich wollte um alles in der Welt meine Herkunft, meine Geschichte verleugnen, wollte diese abstreifen wie eine zweite Haut, um in eine neue zu schlüpfen. Eine neue Geschichte, zu der ich mehr Zutrauen hatte. Das ist mir in meinem Leben auch gelungen. Vor allem durch die Kraft der Bühne. Wie man sich das vorzustellen hat und wie genau die Bühne mich verändert hat, will ich Ihnen gerne im nächsten Teil meines fortlaufenden Blogs hier auf der Seite von „Art-of-Life“ schildern.
Seien Sie mutig.
Herzlich,
Oliver Welter