Kunst echter und authentischer Führung
„Spieglein, Spieglein an der Wand,
wer ist die Schönste im ganzen Land?“
Die Sehnsucht nach Ruhm, Macht und Anerkennung lässt viele Menschen noch immer in Führungspositionen kommen, obwohl die notwendige menschliche Reife dafür nicht vorhanden ist. Öffentlich gewordene Skandale in Politik und Kirche zeigen die enormen ökonomischen und emotionalen Schäden unreifer Führung.
Wie kann man nun echte von unechter, unreifer Führung unterscheiden und wie ermöglichen wir authentische Führung in Organisationen?
Die Welt des Glanzes und Ruhms
Status und Sozialprestige prägen unser postmodernes Zeitalter. Menschen lassen sich vom Schein wie tollen Autos oder Häusern, Namedropping oder Marken beeindrucken. Spaß und einprägsame Botschaften sind wichtiger als persönlicher Tiefgang und Selbstreflexion. Kaum jemand nimmt sich die Zeit Dinge zu hinterfragen, zu ergründen, zu lesen. Wenige entwickeln die notwendige Ausdauer und Mut, eine originäre Meinung zu entwickeln, diese auch zu artikulieren, zu verteidigen und dagegen zu halten.
Viele Menschen verhalten sich wie Herdentiere, Followers und Likes auf Social Media folgen einfachen Botschaften, Polemik schlägt Reflexion, Oberflächlichkeit ersetzt Tiefgang.
Emotionale Polarisierungen entwickeln Sündenböcke, die als Projektionsflächen zur Ablenkung des eigenen Unglücks nützlich sind. Einfache Lösungen ersetzen Eigenverantwortung, das oft anstrengende selbstständiges Denken erübrigt sich. Menschen müssen sich nicht mit ihrer eigenen Angst oder Unsicherheit auseinandersetzten, denn die Schuldigen sind draußen in der Welt, die für alles verantwortlich sind.
Wie wird unreife Führung sichtbar?
Im Organisationskontext wird dies oft durch opportunistische Geschmeidigkeit sichtbar, angepasste Gefälligkeit, verzweckten und absichtsvollen Beziehungen, wo Interaktionen als Ware gesehen werden, weithin auch als „Schleimen“ bekannt. In Begegnungen meist ad hoc die Frage „Was machen Sie beruflich?“, um gleich unbewusst abzutesten, ob der Gegenüber für mich wichtig ist oder nicht. So steht nicht der Mensch oder die menschliche Beziehung im Mittelpunkt, sondern die Funktion oder die Rolle dieser Person. Menschen sind nicht auf Grund ihrer Persönlichkeit interessant für Andere, sondern Kraft Ihrer Funktion und Position. Kann ich vom Anderen profitieren oder einen Nutzen ziehen, kann ich etwas bekommen? Beziehungen und Begegnungen werden dann zu Handelswaren, wo es nur um den größtmöglichen Nutzen geht.
Wenn Menschen früh oder unreif in Führungspositionen kommen, verwechseln viele das Interesse an der eigenen Person mit der Funktion und der damit zusammenhängenden Macht.
Sehnsucht nach Anerkennung - das brüchige Selbst!
In der Sozialpsychologie wird das „Selbst“ als die Empfindung eines einheitlichen, konsistent fühlenden, denkenden und handelnden Wesens definiert. Das „Selbst“ von Menschen kann aber brüchig sein, meistens auf Grund von belastenden Erfahrungen in der frühen Kindheit im Rahmen des Familienkontexts. Dies können mangelnde Nähe und Geborgenheit sein, emotionale Zurückweisungen, der frühe Verlust eines Elternteils, vor allem die nicht vorhandenen Liebe. Als Kleinkinder sind wir schutz- und wehrlos, so graben sich diese Verwundungen in unsere Charakterstruktur und bleiben in gewissem Ausmaß ein Leben lang da und prägen unser Verhalten. Die Psychotherapeuten und Ärzte Wilhelm Reich und Joachim Maaz haben dies ausführlich beschrieben, vor allem die Unterscheidung zwischen falschem und echtem Selbst.
Das „falsche Selbst“ als Seite des Menschen, die wir nach außen darstellen, dabei oft auf unsere Wünsche und Gefühle verzichten, um nur das zu fühlen und zu wünschen, was unsere Umgebung ertragen kann und von uns erwartet. Dadurch erreichen wir oft eine hohe Stellung in der Gesellschaft oder eine Führungsposition, oft um nur das nachzuholen, was wir als Kinder nicht bekommen haben: Anerkennung, Liebe und Wertschätzung!
Aber gerade für Führungskräfte können diese Motivationen fatale Auswirkungen haben. In Krisenzeiten existiert kein Fundament, das gesamte Lebenshaus beginnt nicht nur zu wackeln, sondern stürzt ein. Es fehlt eine stabile Basis und innerer Halt, alles ist nur von außen aufgefüllt worden ohne innere Resonanz.
Es ist daher auch nicht verwunderlich, wenn Menschen mit einem brüchigen Selbst nach dem Verlust einer Spitzenposition in ein dunkles, schwarzes Loch fallen. Auf einmal sind sie als Menschen nicht mehr „wichtig“, es fehlt die externe Anerkennung und damit verlieren sie ihren Wert. Was folgt sind existentielle Krisen, die aber oft sehr heilsam werden können, wenn sie als Chance für persönliches Wachstum gesehen werden, auch wenn sie sehr schmerzhaft sind.
Wie kommen Menschen in Führungspositionen?
Menschen in Führungspositionen zeigen Gewohnheiten, Güter und Lebensstile, die eine bestimmte soziale Gruppe kennzeichnet. Seit dem französischem Soziologen Bourdieu (Klassikwerk „die feinen Unterschiede“) sprechen wir von der Entwicklung eines Habitus, der sich anpasst, sich verändern kann und austauschbar ist. Menschen haben daher soziologisch betrachtet die Möglichkeit, von einer Gesellschaftsstufe in eine andere zu kommen, indem sie den Habitus ändern. In Organisationen ist dies sehr ausgeklügelt, Insignien der Macht werden durch Titel oder Dienstautos manifestiert und damit der Status zementiert.
Ausschreibungen von Führungspositionen verlangen heute Eigenschaften wie Belastbarkeit oder Durchsetzungsfähigkeit. Menschliche Eigenschaften wie Rücksichtslosigkeit, mangelnde Empathie oder Emotionslosigkeit sind dafür sehr nützlich. Intensive Forschungen über dieses Thema (z.B. Manfred F. R. Kets de Vries, Psychoanalytiker und Leadership-Professor an der Wirtschaftsuniversität INSEAD in Fontainebleau) haben festgestellt, dass alleine in Führungspositionen die Anzahl der Psychopathen 3-mal so groß ist als woanders.
Persönliche Erfolge sind nicht ohne eine Portion Eitelkeit oder gar gemäßigten Narzissmus zu erreichen. Die alten Griechen glaubten, Ruhm sei das Einzige, was die Götter den Menschen überlassen hätten, um ihre leibliche Sterblichkeit zu überwinden.
Aber die Grenze ist die krankhafte Pathologie, die einen großen Schaden anrichten kann.
Was versteht man nun darunter?
Psychopathie ist eine antisoziale Persönlichkeitsstörung, die ein ausgewähltes Puzzle einer egozentrischen, gefühlslosen und brutalen Persönlichkeit darstellt. Diese Persönlichkeit funktioniert ohne jegliches Mitgefühl, unfähig warmherzige Bindungen einzugehen, vor allem gibt es in dieser Persönlichkeitsstruktur nicht die Instanz des Gewissens.
Psychopathen sind antisozial, haben Freude am Schikanieren, wollen zerstören und versuchen über andere Macht zu gewinnen. Das Verhalten ist geprägt von einem selbstsicheren und machtbewussten Auftreten, das ausführliche Dominanzrituale und Machtspiele in sich trägt.
Authentisch Führen: Schwächen zeigen und Scheitern zu dürfen
Wenn wir in Organisationen und Gesellschaftsformen wieder reife Führungspersönlichkeiten wollen, müssen wir unser „echtes Selbst“ entwickeln dürfen. Das verlangt Schwächen zu zeigen, Zugang zu den eigenen Emotionen zu bekommen und Konfliktfähigkeit zu entwickeln. Persönliche Entwicklung braucht Raum, Zeit und Vertrauen, will es auf einem guten Fundament gebaut sein.
Solange wir Menschen nicht erlauben zu reifen und ihnen nicht den notwendigen Raum für Entwicklung geben, wir uns lieber von oberflächlichem Prestige oder einfachen Botschaften täuschen lassen, solange werden wir auch mit unreifen Führungskräften leben müssen. Wenn wir aber Verantwortung für unser Tun übernehmen, können wir Organisationen und Gesellschaft aufbauen, wo reife Führungspersönlichkeiten Raum und Platz haben. Da noch immer die qualitätsvolle Beziehung zur direkten Führungskraft die wichtigste Quelle für Motivation ist (jährliche Gallupumfrage), sind reife Führungshandlungen der Humus für Potentialentfaltung, Engagement und Begeisterung von Mitarbeitern in Organisationen.
Es ist daher nicht egal, wer auf Grund welcher Qualifikation Führungsaufgaben übernimmt. Wir alle sollten dafür Sorge tragen, dass es reife und authentische Führungspersönlichkeiten sind.
Autor: Werner Sattlegger, Founder und Director Art of Life
Wenn Sie sich in dieses Thema vertiefen wollen, dann gerne auch im Rahmen von Personal Mastery Sessions.
Literatur:
Manfred Kets de Fries, “Führer, Narren und Hochstapler
Loil Neidhöfer /Werner Sattlegger, “Wenn die Sehnsucht über die Angst hinauswächst.”