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Ghosting

Sich nicht melden, auf Nachrichten keine Antworten geben oder sich sonst einfach “unsichtbar machen” oder sich aus Beziehungen zu “vertschüssen”. Das sind Phänomene, die unter dem Begriff „Ghosting“ wahrscheinlich viele von uns kennen.

Dieser Begriff, der ursprünglich aus dem Bereich des Online-Datings stammt, hat inzwischen auch Einzug in die berufliche Kommunikation gefunden und fordert vor allem Führungskäfte heraus. Was hinter ghosting steckt und wie man diesem Phänomen begegnen ka, darum geht es in diesem Beitrag.

Herkunft und Bedeutung des Begriffs „Ghosting“

Der Begriff „Ghosting“ tauchte erstmals in den frühen 2000er Jahren in der Dating-Welt auf. Er beschreibt das plötzliche und wortlose Ende einer Beziehung, bei dem eine Person ohne Vorwarnung oder Erklärung den Kontakt abbricht, ähnlich wie ein Geist, der sich in Luft auflöst. Diese Praxis hat sich jedoch über den Dating-Kontext hinaus in verschiedene Lebensbereiche verbreitet und betrifft nun auch die Geschäftswelt.

  • In professionellen Zusammenhängen beschreibt Ghosting den abrupten Abbruch der Kommunikation durch eine Partei, ohne dass die andere Partei darüber informiert wird oder eine Erklärung erhält.

Was ist Ghosting in Beziehungen?

In romantischen Beziehungen bedeutet Ghosting, dass eine Person, die zuvor regelmäßigen Kontakt gepflegt hat – sei es durch Nachrichten, Anrufe oder Treffen –, plötzlich jegliche Kommunikation einstellt, ohne eine Erklärung zu liefern. Für die geghostete Person ist dies oft eine verwirrende und schmerzhafte Erfahrung, da sie in Unklarheit über die Gründe des Kontaktabbruchs gelassen wird.

Dies wird auch als passive Aggression erlebt, die beim Anderen eine Fülle von Emotionen auslösen kann, wie zum Beispiel:

  • Zweifel an sich selbst: Ghosting kann das Selbstwertgefühl des Anderen erheblich beeinträchtigen. Die betroffene Person beginnt möglicherweise, ihre eigenen Handlungen und Worte zu hinterfragen und Schuld bei sich selbst zu suchen.

  • Gefühl der Ablehnung: Das plötzliche Ende des Kontakts kann tiefe Traurigkeit hervorrufen, besonders wenn die Beziehung oder Interaktion für die geghostete Person von Bedeutung war. Es fühlt sich wie eine persönliche Ablehnung an, die nicht erklärt wurde.

  • Ärger über die Unklarheit: Viele Menschen empfinden Wut und Frustration darüber, dass ihnen keine Chance gegeben wurde, die Situation zu klären. Die Tatsache, dass die andere Person die Kommunikation einfach abbricht, kann als respektlos und feige wahrgenommen werden.

  • Mangel an Kontrolle: Ghosting hinterlässt oft ein Gefühl der Machtlosigkeit, da die geghostete Person nichts tun kann, um die Situation zu ändern. Dieses Gefühl der Ohnmacht kann sehr belastend sein

Warum Menschen ghosten

Viele Menschen haben Angst vor Konfrontationen oder fühlen sich unwohl, wenn es darum geht, schwierige Gespräche zu führen. Anstatt ehrlich zu kommunizieren, dass sie kein Interesse mehr haben, entscheiden sie sich für den „einfacheren“ Weg und brechen den Kontakt ab.

Ghosting kann auch ein Zeichen von emotionaler Unreife sein. Manche Menschen sind nicht in der Lage, ihre Gefühle klar auszudrücken, und flüchten sich in die Stille, anstatt sich den eigenen Unsicherheiten zu stellen.

Gosthing in organisationen

In einer 2018 im Journal of Social and Personal Relationships veröffentlichten Studie gaben 25 % der Teilnehmer an, schon einmal von einem Partner geghostet worden zu sein. Was die Arbeitssuche betrifft, gaben 93 % der Befragten einer LinkedIn-Umfrage aus dem Jahr 2020 an, während eines aktiven Einstellungsprozesses geghostet worden zu sein.

  • Leicht regen wir uns über andere auf, die ghosten - aber wie oft machen wir das selber ? Man verspricht, einen Geschäftskontakt herzustellen, bietet an, einen Lebenslauf zu prüfen, als Referenz zu fungieren, bietet an, in einem Panel zu sprechen oder sagt, dass man einem Kollegen Feedback geben wird – und man hält sich nicht daran. Oder einfach Mails nicht beantworten - die Grenze zu Beliebigkeit und Unverläßlichkeit ist oft schwer zu ziehen.

    • Was aber alle eint ist oft die Schwierigkeit Nein zu sagen.

Ghosting im beruflichen Umfeld kann noch viele andere Erscheinungsformen haben

  • Praktisches Beispiel: Ein Mitarbeiter, der mit den Arbeitsbedingungen oder seiner Rolle unzufrieden ist, könnte es vermeiden, das Thema bei seinem Vorgesetzten anzusprechen. Anstatt einen offenen Dialog zu suchen, zieht er sich immer mehr zurück, ignoriert E-Mails und Meetings und erscheint schließlich nicht mehr zur Arbeit. Das Unternehmen bleibt im Unklaren über die Gründe für sein Verhalten und kann die Situation nicht angemessen bewältigen.

  • Praktisches Beispiel: Ein hochqualifizierter Bewerber erhält nach einem erfolgreichen Vorstellungsgespräch in einem Unternehmen ein noch attraktiveres Angebot von einem Konkurrenten. Anstatt dem ersten Unternehmen abzusagen, bricht er einfach den Kontakt ab, beantwortet keine E-Mails mehr und lässt den Arbeitgeber im Unklaren über seine Entscheidung.

  • Praktisches Beispiel: Ein Freelancer, der über eine Online-Plattform für ein Projekt angeheuert wurde, entscheidet sich, nicht weiter mit dem Kunden zu kommunizieren, nachdem das Projekt komplizierter wird als erwartet. Da keine persönliche Beziehung besteht und die Kommunikation rein über digitale Kanäle lief, fühlt der Freelancer weniger Druck, den Kontakt zu halten und das Projekt zu einem Ende zu bringen.

Konfliktvermeidung und Unsicherheit: In meiner eigenen beruflichen Erfahrung in der Begleitung von Führungskäften erlebe ich immer wieder, wie wenig Konflikte offen und ehrlich ausgetragen werden. Viele Menschen haben Schwierigkeiten, mit unangenehmen oder potenziell konfliktbeladenen Situationen umzugehen. Diese Neigung zur Konfliktvermeidung kann in der Arbeitswelt dazu führen, dass schwierige Gespräche, wie etwa eine Absage nach einem Bewerbungsgespräch oder das Ansprechen von Problemen im Arbeitsumfeld, einfach vermieden werden.

Die Auswirkungen von Ghosting auf Organisationen:

Ghosting ist nicht nur ein frustrierendes Phänomen für betroffene Führungskräfte und Teams, sondern kann auch erhebliche wirtschaftliche Auswirkungen auf Organisationen haben.

  • Verzögerungen und Produktivitätsverluste: Wenn ein Mitarbeiter, Bewerber oder Geschäftspartner plötzlich den Kontakt abbricht, entstehen oft unerwartete Verzögerungen, die Projekte und Geschäftsabläufe beeinträchtigen.

    • Beispiel: Ein Unternehmen, das kurz vor dem Abschluss eines wichtigen Projekts steht, verliert plötzlich den Kontakt zu einem zentralen Freelancer, der an einem kritischen Teil des Projekts arbeitet.

  • Erhöhte Rekrutierungskosten: Ghosting im Rekrutierungsprozess kann besonders kostspielig sein. Wenn ein vielversprechender Kandidat nach einer intensiven Bewerbungsphase plötzlich nicht mehr reagiert, gehen die zuvor investierten Ressourcen und die Zeit verloren.

    • Beispiel: Ein Unternehmen investiert mehrere Wochen in die Suche nach einem idealen Kandidaten, einschließlich mehrerer Runden von Vorstellungsgesprächen und Verhandlungen. Nach einer mündlichen Zusage verschwindet der Kandidat plötzlich, ohne den Vertrag zu unterzeichnen.

  • Verlust von Geschäftsbeziehungen und Einnahmen: In Fällen, in denen Kunden oder Geschäftspartner ghosten, kann dies zu direkten Einnahmeverlusten führen. Wenn ein Kunde plötzlich nicht mehr reagiert, können offene Rechnungen unbezahlt bleiben, oder zukünftige Geschäfte kommen nicht zustande.

    • Beispiel: Ein Unternehmen, das eine langjährige Geschäftsbeziehung mit einem Lieferanten pflegt, erlebt plötzlich, dass der Lieferant auf keine Kommunikationsversuche mehr reagiert. Ohne Vorwarnung steht das Unternehmen ohne die notwendigen Materialien für die Produktion da, was nicht nur Umsatzeinbußen zur Folge hat, sondern auch die Beziehung zu seinen eigenen Kunden gefährden kann.

Was können Führungkräfte tun

Ghosting stellt eine ernsthafte Herausforderung für Führungskräfte dar, die auf transparente und kontinuierliche Kommunikation angewiesen sind. Bei unseren Lernreisen ins Silicon Valley sind wir immer wieder erstaunt, wie oft und wie transparent und wie direkt dort kommuiziert. Das beste Beispiel war für uns Netflix, die mit einer radikalen Feedbacklkultur keinen Raum für politische Spiele lassen.

Klassische Tools sind die wöchentlichen one-to-one meetings, wo jede Führungkraft mit seinen Mitarbeiterinnen mindestens eine halbe Stunde spricht. Oder auch Tools wie der “keeper test” oder “informative captain” bei Netlfix bringen radikale Offenheit und verhindern Rückzugsstrategien.

Ausblick

Ghosting ist mehr als nur ein störendes Verhalten – es ist ein Symptom für tiefere Probleme in der Kommunikationskultur eines Unternehmens. Führungskräfte, die dieses Phänomen verstehen und darauf reagieren, haben die Möglichkeit, die Kommunikation in ihrem Unternehmen grundlegend zu verbessern. Indem sie eine Kultur der Offenheit, Transparenz und Empathie fördern, können sie nicht nur Ghosting reduzieren, sondern auch die Bindung und Zufriedenheit ihrer Mitarbeiter und Partner stärken.

Autor: Werner Sattlegger, Founder Art of Life

Literaturtips:

Veranstaltungstip: Nächste Lernreise ins Silion Valley, 14,-18.Oktober

Studien:

  • Workplace Research Foundation (2021): Diese Studie ergab, dass 29 % der befragten Fachkräfte angaben, im Laufe ihrer Karriere bereits mindestens einmal geghostet worden zu sein. Die Studie zeigte, dass Ghosting häufig auf mangelnde Kommunikation und unrealistische Erwartungen zurückzuführen ist. Die betroffenen Personen fühlten sich oft überfordert oder emotional nicht in der Lage, die Kommunikation fortzusetzen.

  • Harvard Business Review (2022): Eine Untersuchung der Harvard Business Review kam zu dem Ergebnis, dass Unternehmen mit einer starken Unternehmenskultur und einem hohen Maß an emotionaler Intelligenz bei Führungskräften weniger von Ghosting betroffen sind. Die Studie betonte, dass Mitarbeiter, die sich emotional mit ihrer Arbeit und ihren Kollegen verbunden fühlen, eher bereit sind, auch schwierige Gespräche zu führen, anstatt den Kontakt abzubrechen.

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Autor: Werner Sattlegger
Founder & CEO Art of Life

Experte für digitale Entwicklungsprozesse, wo er europäische mittelständische Familien- und Industrie-unternehmen von der Komfort- in die Lernzone bringt. Leidenschaftlich gerne verbindet er Menschen und Unternehmen, liebt die Unsicherheit und das Unbekannte, vor allem bewegt ihn die Lust am Gestalten und an Entwicklung.

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