Lean und Mikro Learning in Unternehmen
Unterschiedlichste Skill Gap Reports haben eines klar gemacht: die Schere zwischen den Fähigkeiten der MitarbeiterInnen und den unternehmerischen Anforderungen gehen immer weiter auseinander. Nun hat sich diese Lücke nach der Covid-19 Pandemie weiter vergrößert, wie eine aktuelle Umfrage von TechCrunch bestätigt: 75% (1.500 befragte ManagerInnen in 50 Organisationen) sind mit der Lern- und Entwicklungsfähigkeit im eigenen Unternehmen unzufrieden. Gleichzeitig sagen 70% der MitarbeiterInnen, dass sie die für ihre Arbeit nicht erforderlichen Fähigkeiten beherrschen.
Dieser Befund ist vor allem deshalb alarmierend, da unsere Bildungseinrichtungen sehr langsam reagieren, wie Bryan Caplan, Professor an der George Mason University in seinem Buch „Plädoyer gegen die Schule“ betont. „Wichtige berufliche Fähigkeiten stehen nicht im Fokus von Schulen, sondern es geht um die Erziehung von Menschen, die angepasst sind und widerspruchslos Wissen wiedergeben“ diagnostiziert Caplan. Vor allem Lernen wir falsch.
Was läuft falsch beim Lernen?
Oft lernen wir zur falschen Zeit, wir vergessen schnell, wir lernen die falschen Dinge, das meistens noch ohne Praxisbezug und Emotionen. Seit der Vergessenskurve von Ebbinghausen, die von den neusten Erkenntnissen der Hirnforschung bestätig wurden, wissen wir über den Wissensverlust nach 6 Tagen Bescheid. Die Anwendung des Gelernten muss immer direkt, praktisch und im kurzen Abstand auf Situationen der realen Welt angewendet werden. Einmalige Workshops ohne individuellen Praxisbezug sind wirkungslos und kosten nur Geld.
Lean Learning in Unternehmen
Lean Learning will die Lernergebnisse radikal verbessern, Verschwendung reduzieren und Entwicklung fördern. Ein bewegliches und agiles Lernsystem, das den MitarbeiterInnen und Unternehmen eine sofortige Aktualisierung der Fähigkeiten ermöglicht. Keine teuren, akademisch abgehobenen Ausbildungen, sondern praktisches, anwendbares und portioniertes Lernen in Verbindung mit den Strukturen einer lernenden Organisation:
Blended Mikro Learning
Lernimpulse müssen heute eine gut dosierte Mischung aus Online Inputs, praxisrelevanten Aufgabenstellen, in Verbindung mit individuellen Fragestellungen und persönlichen kollaborativen Lernsettings sein. Entwicklung braucht Zeit, daher müssen die Inputs und Lernerfahrungen immer in einer Schleife, über einen längeren Zeitraum abwechselnd zwischen Theorie und Praxis, sich gegenseitig befruchten. Lernen wird in den Arbeitsalltag integriert und eingebaut, die Transferwirkung steigert sich enorm bei niedrigen Kosten.
Amplified Learning
Die wichtigste Quelle für Lernen ist die persönliche Erfahrung, da sie nicht nur die kognitive Erfahrung einbezieht, sondern auch Gefühle, Erinnerungen und Empfindungen. Das ist auch aus Sicht der neuesten Erkenntnisse der Hirnforschung (Hüther, Bauer) unbestritten. Dafür eigenen sich strukturierte Prozesse, wo regelmäßig in schonungsloser Offenheit alles auf dem Tisch kommt, transparent Fehler aufgezeigt und Hypothesen validiert werden.
Rapid Feedback
Die Grundlage für Lean Learning sind iterative Abläufe, wo ohne Umschweife und Umwege sofortiges Feedback von den Kunden gesucht wird. Ein permanenter und räsonierender Prozess, wo das Feedback gleich zur Umsetzung kommen kann. Im Jahr 1968 veröffentlichte Edwin A. Locke seine bahnbrechende Zielsetzungstheorie, wo er nachgewiesen hat, dass Mitarbeiter von raschem Feedback und hohen Zielen motiviert werden, in diesem Fall vom Feedback der Kunden.
Selfdetermined Learning
Die Selbstbestimmungstheorie (Self-Determination Theory - SDT, Universität Rochester, von Ryan and Delfi entwickelt) hat entgegen damals allgemeiner Erwartung nachgewiesen, dass die Motivation für an sich interessante Tätigkeiten durch zusätzliche Belohnungen häufig nicht etwa gesteigert (sog. Korrumpierungseffekt) wird, sondern im Gegenteil zurückgeht. Nach dieser Theorie hängt die Motivation von Kompetenz, sozialer Eingebundenheit und Autonomie ab. Für Lernerfahrungen bedeutet es, dass MitarbeiterInnen sozial eingebunden und vor allem eigenverantwortlich lernen müssen, wollen sie Kompetenz aufbauen.
Self Deception
Überheblichkeit, Ignoranz und Narzissmus sind größten Stolpersteine für Lernen und Wachstum. Zu denken, wir wissen schon alles, wir sind in der Sicherheitszone, pumpt die Blase der Eitelkeit auf, wo die Gefahr der Selbsttäuschung und damit des Misserfolges liegt. Daher suchen erfolgreiche Führungskräfte immer auch den Widerspruch und umgeben sich nicht nur mit Jasagern und Schmeichlern.
Lernen in Unternehmen muss heute völlig neu gedacht werden, dafür gibt es keine Patentrezepte oder einfache Lösungen. Die angeführten Zugänge sind erprobt, wissenschaftlich untersucht und bewährt. Sie funktionieren aber nicht als Technik, sondern nur, wenn wir die zwischenmenschlichen Eigenschaften wie Neugier, Offenheit und Veränderungsbereitschaft fördern. Lassen wir uns dafür nicht zu lange Zeit, wollen wir nicht den Wandel in den nächsten Jahren verschlafen.
Literatur:
Edwin Locke, Principles of Organizational Behavior
Bryan Caplan, The Case against Education
Gerald Hüther, Education For Future
Die Selbstbestimmungstheorie nach Deci und Ryan
Autor: Werner Sattlegger (CEO & Founder Art of Life)
Experte für digitale Entwicklungsprozesse, wo er europäische mittelständische Familien- und Industrie-unternehmen von der Komfort- in die Lernzone bringt. Leidenschaftlich gerne verbindet er Menschen und Unternehmen, liebt die Unsicherheit und das Unbekannte, vor allem bewegt ihn die Lust am Gestalten und an Entwicklung.